Seelenasche
Ende wie eine weiÃe, weiche Wolke. Ein kalter Schein ging von ihr aus, der Distanz zwischen sie legte.
Bedrückendes Schweigen. Keiner von ihnen streckte die Hand nach dem Lichtschalter aus. SchlieÃlich sagte Neda mit spürbarem Widerwillen:
»Ich war im Kino ⦠Hab mir einen dummen Film angeschaut.«
»Ich hab auf dich gewartet, damit wir gemeinsam schlafen gehen.«
Er hörte ihr Lachen, provozierend und so fremd, als stünde da eine unbekannte Frau im Korridor.
»Wozu brauchst du mich denn?«, fragte Neda. »Du bist dir doch selbst genug, du bist doch Gott und schläfst mit deiner Berühmtheit.«
Da hat sie nicht unrecht, dachte Jordan trotzig, aber Grischa ist doch auch so ein Gott, der sich mit den Träumen seiner Verrückten schlafen legt.
15
Aus für ihn unerfindlichen Gründen erinnerte er sich an diesen beklemmenden Abend, den er im Herbst auf Dienstreise in Russe an der Donau verbracht hatte. Er meldete sich telefonisch bei Iwailo Hadschichristov, einem Mitstudenten, der jetzt bei der Kreiszeitung arbeitete. Er galt als bestaussehender Mann des Studienjahrgangs, blass, mit markantem, fast asketischem Gesicht und dem fiebrigen Blick eines Tuberkulosekranken. Iwailo führte ihn durch die Stadt. Ãber der Donau lag mystischer Nebel, der sich bei jedem Windstoà die StraÃen hinaufwälzte, das Licht der Neonlampen und alle Geräusche dämpfte. Die Häuser mit den Gründerzeitfassaden lagen seltsam still da, die Menschen bewegten sich wie Schatten voran â eine bizarre Welt war das voller auftauchender und wieder wegtauchender Schemen. Sie gingen am Haus des GroÃvaters von Elias Canetti vorbei, nach dem sein Enkel benannt war, einem stattlichen, mit roten Ziegeln vermauerten und von vielen Kartuschen, Pilastern und Simsen unterbrochenen Haus, in dem man sich auch die Buddenbrooks vorstellen konnte, und sprachen über Die gerettete Zunge , das Buch, in dem Canetti seine Kindheitserinnerungen an Russe, damals noch Rustschuk , aufgeschrieben hatte.
Am Ende ihres Rundgangs lud Iwailo ihn zum Abendessen ein. Durch zwei AuÃenkorridore mit bröckelnden Wänden führte er ihn in ein feuchtes, nach Schimmel riechendes Haus. Sie betraten einen Salon mit alten Originalmöbeln, die müde zu sein schienen von der Berührung menschlicher Finger und verschwendeter Worte, und deren Lack dunkel geworden war von der schweren Luft. In der Ecke stand ein Klavier mit zwei anmontierten Leuchtern, auf denen Kerzen brannten. Iwailos Ehefrau, graziös, fast durchscheinend, sang in der Oper. Im Blick dieser intelligenten Frau gab es ein Wissen um das eigene Los, etwas von einem Sich-Fügen des verarmten Adligen ins Unausweichliche. Sie siezte sich mit der Schwester ihres Mannes; diese prätentiöse Form der Wertschätzung kam ihm anfangs übertrieben vor, schlieÃlich amüsierte sie ihn nur noch.
Sie aÃen zu Abend in einem Haus, das Iwailos UrgroÃvater vor fünfundachtzig Jahren vom belgischen Konsul beim Pokern gewonnen hatte. Sie tranken Kaffee. Vom Plattenspieler ertönte Vivaldi. Sie schwiegen. Es roch nach Zersetzung, nach langsam zerbröselndem Baldachinstoff und Blumen, sterbenden Kreppblumen.
»Entschuldigen Sie den Einwurf, Teuerste«, wandte sich Iwailos Frau an dessen Schwester, »aber es ist Zeit, die Herren allein zu lassen.«
Jordan wurde bei diesem Zeremoniell komisch zumute, und traurig. Die Traurigkeit drang durchs offene Fenster und legte sich wie Staub auf den schwarzen Lack des Klaviers. Iwailo steckte sich eine Zigarette an. Sein Blick vagabundierte unruhig umher, inhaltsleer und voll Ãberdruss.
»WeiÃt du«, begann er leise und ohne Ãbergang, »diese Antiquitäten, in denen ich lebe, drücken mich nieder. Ihre Unverwüstlichkeit suggeriert mir, wie vergänglich doch ich selbst bin, und so komme ich mir wie ein Gast, ja, wie ein Dieb im eigenen Haus vor. In meinem eigenen Leben.«
»Mir gefallen sie! Es ist gemütlich bei euch. Stilvoll.«
Iwailo leerte sein Glas, als habe er ihn nicht gehört.
»Meine Frau hat schon lange heraus, dass das, worauf ich mich setze, mehr wert ist als ich!«
»Dann verkauf das Zeug doch, Antiquitäten sind derzeit schwer gesucht!«
»Das würde Paulina nie zulassen. Sie hat diese Möbel von ihrer GroÃmutter geerbt und ist an ihre Ãberlegenheit gewöhnt.« Sein Blick bekam einen suchenden und
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