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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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las die hingeworfenen Sätze noch einmal durch, war zufrieden. Er hatte sich einen guten Schluck verdient.
    Er lugte ins Schlafzimmer. Jana schlief längst. Sie hatte ihren fuchsroten Teddy im Arm, und die Precious-Wilson-Zöpfe fielen ihr über die Stupsnase. Leise schloss er die Tür und ging ins Wohnzimmer zurück, goss sich zwei Fingerbreit Whisky ein und verdünnte mit Wasser aus der Kanne. Die Flüssigkeit nahm die Farbe eines goldenen Herbstnachmittags an. Als er daran nippte, bereute er das Wasser aber, denn die Mischung schmeckte abgestanden. Er lief in die Küche und machte sich Rührei mit Schafskäse. Wenn ihn etwas bedrängte oder ihm Sorgen machte, lenkte Essen ihn ab. Dann konnte er mit ins Nichts geheftetem Blick, monoton kauend, Unmengen in sich hineinschaufeln, bis die Sehnen am Hals hervortraten. Vier Eier mit Salzlakenkäse und einem Stück Salami würden nicht einfach nur seinen Hunger stillen, sondern auch eine Stunde Leerlauf füllen.
    Das Dunkel draußen war bräunlich und weich, als hätte jemand die Nacht mit Samt eingeschlagen. Von der sechsten Etage aus sah man auf die Dächer der umliegenden Mietshäuser, die bucklig und hässlich dalagen wie Festungen mit ihren blinden Dachluken und dem mattglänzenden Spinnennetz der Fernsehantennen. Diese Dachlandschaft war der höchste und hässlichste Teil der Stadt, das Königreich der Vögel, unter dem die Vergangenheit sich im allmählichen Vergessen immer mehr in pures Gerümpel verwandelte.
    An der Tür läutete jemand Sturm. Der Gedanke, es könnte Neda sein, die ihren Schlüssel verloren hatte, verschaffte ihm kurz Erleichterung. Seit Mittag quälte ihn der sinnlose Gedanke, dass es ungerecht war, einen so unwiderstehlichen und berühmten Mann wie ihn allein mit seiner kleinen Tochter zu lassen. Er holte tief Luft, um seinen Herzschlag zu beruhigen und sein Erschrecken mit etwas Selbstsicherheit zu überziehen. Als er öffnete, blendete ihn erst die Treppenhausbeleuchtung, dann erkannte er seine Schwester.
    Â»Komm rein«, nuschelte Jordan enttäuscht, »Jana und ich sind allein. Heute ist Freitag, und Freitag hat Neda ja immer ihre Gruppen, da verspätet sie sich meist. Sie sammelt Material über das Sozialverhalten der Bekloppten.«
    Kaum hatte er das ausgesprochen, war ihm seine Entschuldigung auch schon peinlich, so peinlich, als hätte man ihn bei einer unanständigen Verrichtung im stillen Kämmerlein ertappt. Dessislava zwängte sich an ihm vorbei. Eine pentrante Geruchsmischung aus Christian Dior und hartem Alkohol stieg ihm in die Nase. Sie ging ins Wohnzimmer. Jordan beeilte sich, den Fernsehapparat auszuschalten.
    Â»Möchtest du einen Whisky?«
    Â»Aber einen ordentlichen!« Sie fläzte sich auf den nächststehenden Sessel, zündete sich eine Zigarette an und schaute dumpf in die Zimmerecke gegenüber. Jordan war es unbehaglich, dass er allein war, unbehaglich, dass er sich dafür schämte, und unbehaglich, dass Dessislava seine Verfassung spüren könnte. Mit ihrem Haar, kurzgeschnitten und in feine Locken gelegt, glich sie einem Pudel. Sie war beinahe schön mit ihren traurigen blauen Augen und der widerspenstigen Stupsnase, ihren Wangen, die gerötet waren, als hätte sie Fieber. Das Glas klang, als es an ihre Zähne stieß. Jetzt glich sie einem kleinen Mädchen, das den hausgemachten süßen Kirschlikör im Schrank gefunden und sich rasch einen ordentlichen Schwips angetrunken hatte. Jordan stellte sich in Habtachtstellung hin und ließ sein charmantes Idiotenlächeln spielen, das sein Gesicht mit dem künstlichen Schimmer eines Lampenschirms aus Nylon versah. Ja, er war der Nylonprinz aus den Zelluloidmärchen.
    Â»Meinst du, Mama und Papa lassen sich wirklich scheiden?«
    Â»Keine Ahnung«, erwiderte Jordan befangen, »heute war der zweite Termin. Sie haben drei Monate Bedenkzeit bekommen.«
    Â»Und was machen wir, während sie denken?«
    Â»Wir sollten uns da nicht einmischen, Dess.«
    Â»Klar mischen wir uns nicht ein, ich hab ja auch gefragt, was wir machen.«
    Â»Wir könnten ihnen die Wahrheit sagen.«
    Â»Am Nachmittag beim Staatsexamen haben sie mich dafür in der Luft zerrissen, ich meine, dafür, dass ich versucht habe, ihnen die Wahrheit zu sagen.«
    Dessislava war sichtlich außer sich. Ihre Stirn glühte, sie schnappte nach

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