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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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Glück ihres Idols für sie unerreichbar bleibt. Jordan war Ikone falscher Anbetung, war von oben bis unten gewebt aus Einsamkeit und Macht, einer höchst demokratischen freilich, denn jeder konnte ihn ja jederzeit ein- oder ausschalten. Mit seinem Erfolgslächeln verband er die Menschen, darum war er gesellschaftlich so nützlich, ja, notwendig. Drei Millionen Bulgaren taten am Samstagabend ein und dasselbe – seine Sendung anschauen, und das schuf einen geheimen Kontakt unter ihnen. Jordan war die Pille gegen die allgemeine Entfremdung, indem er in Millionen Haushalte eindrang, aber nicht als Dieb, sondern als geladener Gast, Freund des Hauses, der gemeinsamen Gesprächsstoff schuf und die Basis für Zustimmung und ein Gefühl der Nähe.
    Und doch: Dieses Bildschirmgesicht war ja nicht sein Gesicht, sondern nur eine Maske. All seine Gefühle außer diesem Glück, erfolgreich und berühmt zu sein, waren uninteressant, mehr noch, kratzten an seinem Denkmal oder waren gar peinlich. Ja, die Leute idealisierten ihn, hoben ihn auf den Sockel, und es war doch unmöglich, dass einem Denkmal der Magen knurrte, dass es also essen und trinken musste oder gar Zahnschmerzen hatte! Unbedenklich vervielfältigt durch die wachsende Zahl der Fernsehapparate im Lande, musste er vollkommen erscheinen, und das bedeutete, dass er nicht in derselben Weise existierte wie sie, seine Zuschauer ! Es gab ihn also gar nicht; er war vielmehr eine gewaltige, anspruchsvolle Absenz – und genau dies hatte Neda erspürt und verstanden. »Du bist nur glücklich, wenn ich unglücklich bin«, hatte er ihr vorgeworfen. Sie aber hatte ihm resigniert geantwortet: »Ich lebe mit einem Gespenst!«
    Aber Jordan war schlitzohrig und stur: Er hinderte sie daran, mit ihm darüber zu streiten! Er gestattete ihr, ihm fünf gestreifte, ununterscheidbare Schlafanzüge zu kaufen, beklagte sich nie und über nichts, aß ohne Murren das Essen von gestern auf, nahm Angriffe auf seine Person als Auszeichnung für seine eigene Größe und – bedauerte pausenlos die armen anderen Menschen . Das war seine Selbstverteidigungstaktik und intellektuelle Rache. Er machte ihr ihre Freundinnen madig, indem er sie durch sein Bedauern geschickt und geduldig herabsetzte, ja, sie vor ihren Augen zerdrückte wie leere Pappschachteln. Böswillig und provozierend hörte er nicht auf, ihre Eltern zu bedauern. Und so klammerte Neda sich an Grischa wie eine Ertrinkende an den rettenden Strohhalm, weil dieser kluge Schwatzkopf wenigstens versuchte, den Spieß umzudrehen und – Jordan zu bedauern. Ihre unterschwellige Feindschaft, der aufflammende Hass zwischen ihnen kosteten sie unendlich viel Kraft, weil Neda das Schlachtfeld war, auf dem die beiden Herren methodisch und kaltblütig ihre Waffen erprobten. Jordan hatte den strategischen Vorteil, mehr Zeit mit ihr zu verbringen, obwohl … da war er sich gar nicht mehr so sicher! Grischa nutzte geschickt die magnetische Aura der Verwirrung seiner Verrückten, ihres »Nichtverzichts auf die Freiheit«.
    In ihrem Familienleben war jedes Unglück ein Anlass für Nähe. Was sie zusammenbrachte, waren die Erdbeben gewesen, waren die Kinderkrankheiten ihrer Tochter Jana, waren die seltenen Fälle, in denen Jordan betrogen oder belogen, zerschlagen oder geschlagen nach Hause kam. Neda war verzweifelt, dass er keine erkennbaren Laster hatte: Er trank maßvoll, verspätete sich nur wegen der Arbeit, kümmerte sich liebevoll um Jana und kaufte zweimal in der Woche höchstpersönlich im Supermarkt ihres Wohngebiets alles Nötige ein. An seiner fast schon abartigen Reinlichkeit und tadellosen Bekleidung prallte jeder Wunsch, ihn gut fraulich zu beraten, ab und stürzte sie in die extreme Gegenreaktion, sich selbst äußerlich zu vernachlässigen. Sie hatte schöne Kleider, wollte die aber um keinen Preis anziehen, außer, sie ging zu den Gruppentreffen mit den Neurotikern und Verrückten. Die zogen sie magnetisch an, weil sie ihr einsam vorkamen, sensibel und krank, und das machte sie so authentisch. Ja, das Verrücktsein war voller Natürlichkeit, voller grenzenloser Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit.
    Jordan kämpfte mit diesem Charisma der Anormalen in erprobter Weise: Wortreich oder mit der Miene großen Mitleids gab er zum Ausdruck, wie sehr er »diese armen Wesen«, diese »von Gott und den Menschen

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