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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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Vergessenen« bedauerte. Seine scheinbare Anteilnahme brachte sie derart durcheinander, dass sie sich nicht mehr sammeln und ihre Dissertation zu Ende schreiben konnte. Material hatte sie mehr als genug zusammengetragen. Was ihr aber fehlte, war die innere Sicherheit, dass ihre Analysen die Entfremdung im Kern sprengten, dass sie ein Aufruf zu mehr Nähe waren, den die Menschen brauchten.
    Neda wollte einmal erleben, wie er öffentlich auseinandergenommen, wie er beschimpft und verspottet wurde. Ihr Hass schien unüberwindlich, weil sie ihn noch immer liebte, und diese starke Bindung an ihn hinderte sie daran, objektiv zu sein und sich für immer von seiner Hegemonie zu befreien. Die Falle, in die er sie hatte laufen lassen, war ein Verlies, aus dem es kein Entrinnen gab.
    Er trank von seinem erkalteten Tee und stellte sich vor, wie Neda im Bett weinte. Zusammengerollt wie ein Mädchen, würden ihre Tränen auf das Kopfkissen tropfen. An diesem Abend hatte sie sich provozierend und auf fiese Weise verspätet, aber er gab ihr keinen Anlass, sich mit ihm zu streiten. War dies nicht ein untrüglicher Beweis dafür, wie glücklich sie waren, wie harmonisch und ausgeglichen ihr Leben war? Genau darunter litt Neda: dass sie kein Mittel fand, sich gegen diese tadellos gegen sie arbeitende Strategie erbarmungslosen Glücks zur Wehr zu setzen!
    Noch einmal kehrten die Klänge der Vier Jahreszeiten von Vivaldi in sein Gedächtnis zurück, hörte er die ohnmächtige, von Entsetzen zum Flüstern herabgedämpfte Stimme Iwailos sagen: »Du bist ein Perversling, du Scheißkerl … ein platonischer Schwerenöter bist du!« Morgen würde Jordan freihaben, und da würde er schon ganz früh morgens, während sie noch Kaffee tranken und sich aus dem farbigen Vergessen des Schlafs in den Tag hineinschleppten, mit einer von tiefem Bedauern für den armen Iwailo Hadschichristov gezeichneten Stimme scheinbar beiläufig sagen: »Stell dir vor, Liebes, der Ärmste hasst seine eigene Frau!«
16
    Sein Chef lächelte einladend, fast weibisch, und das verhieß nichts Gutes. Er bot ihm keinen Platz an und würde das auch dann nicht tun, wenn ihre Unterredung sich eine ganze Stunde hinzöge. Seine Macht manifestierte sich in Distanz. Während er sich bequem in seinem Sessel ausstreckte, trat Jordan lang und demütigend wie ein ertappter Deserteur von einem Bein auf das andere. Im Büro des Ressortleiters war es stickig und düster. Gospodinov verbrachte acht Stunden täglich so mit heruntergelassenen Rollos, weil das starke natürliche Licht ihn beim Fernsehen behinderte.
    Auf den vier in die Wand eingelassenen TV-Geräten liefen ausländische Programme. Über Satellit wurde eine Retro-Show aus New York übertragen. Auf den anderen Bildschirmen sah man den Start einer Rakete von der Rampe in Baikonur, einen französischen Zeichentrickfilm und eine Rede von Helmut Kohl. Der Chef war fernsehsüchtig. Da er aber keine Fremdsprachen konnte, wirkten die ausländischen Sendungen auf ihn wie Marihuana. Er sah jedenfalls immer leicht bekifft aus, eingesponnen in seine Scheinwelten, die sich zu einer fast mythologischen Alternativ-Wirklichkeit verdichteten. Das permanente Starren auf etwas, das sowohl existierte als auch nicht existierte, hatte ihn zum Skeptiker gemacht. Die Einrichtung seines riesigen Büroraums bestand nur aus den vier Monitoren in der Wand und seinem massiven Schreibtisch. Gospodinov mochte zwar ein kompletter Idiot sein, aber er war als Zyniker auch ein ausgefuchster Psychologe und hatte erkannt, dass Möbel überflüssig waren, wenn nur er sich in seinem Büro befand.
    Im Augenblick trank er Kaffee – ein Punkt für ihn. Er hatte das Sakko seines cremefarbenen Anzugs ausgezogen, sodass man die beiden Schwitzflecken unter den Achseln seines zahnpastaweißen Hemdes sehen konnte. Gospodinov schwitzte ununterbrochen, sogar im Winter. Er schwitzte, wenn er Angst hatte, aber auch, wenn man ihn lobte. Das war wohl eine Stressreaktion seines von pausenloser Übererregung ausgelaugten Organismus. Der Ressortleiter wirtschaftete seine Gesundheit kaltblütig und in vollstem Bewusstsein herunter, weil er pausenlos Dinge verrichtete, die ihm organisch zuwider waren. Genau wie der frühere Intendant des bulgarischen Staatsfernsehens mühte er sich, einem Playboy zu ähneln. Dreimal wöchentlich spielte er Tennis auf

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