Seelenasche
fieberhaften Ausdruck. »Schwer zu erklären ⦠Ich hasse meine Frau.«
»Auch dafür gibt es eine Lösung«, warf Jordan stumpfsinnig ein, »lasst euch scheiden.«
»Kann ich nicht. Ich hasse sie so stark, dass ich mich schon gespalten, abhängig von ihr fühle. Verstehst du, sie ist wie eine Droge. Wenn ich die nicht kriege, drehe ich durch. Und du â was ist mit dir?«
»Ob ich deine Frau hasse?« Jordan trank von seinem Wodka, der plötzlich einen widerlichen Beigeschmack nach Spiritus hatte.
»Deine natürlich.«
»Nein, ich hasse sie nicht.«
»Glückspilz ⦠Du kannst dich also von ihr scheiden lassen, wann immer du willst, du ScheiÃkerl.«
»Fang nicht an, mich zu beleidigen.«
»Du bist doch gespickt mit Privilegien! Halb Bulgarien sieht dich und du liebst deine Frau â¦Â« Iwailo schaute mürrisch zum Fernseher in der Ecke. »Und wer bin ich? Ein Nichts. Ein Provinzniemand, der fünf Minuten vom Haus Elias Canettis entfernt wohnt.«
Er stand auf, ging um den Tisch herum, näherte sich mit solcher Mühe, als reibe er sich an der Luft oder müsse gegen die Schallwellen der Musik Vivaldis ankämpfen, und goss ihnen nach. Jordan tat schon der Kopf weh. Bei all seiner aristokratischen Würde â lüften lieà sich dieser Salon wohl nie. Er fühlte sich wie verzaubert, irgendwo auf der StraÃe der Zeit liegengelassen, sterbend und voller Verachtung.
»WeiÃt du, warum ich dich eingeladen habe, du widerlicher Bastard?«
Jordan zuckte mit den Schultern.
»Irgendwo ähnelst du Paulina ⦠Wenn ich dich so im Fernsehen anglotze und sich mir die Eingeweide zusammenziehen, steigt der Hass in mir hoch; aber ich erdulde dich, weil ich nicht kann ohne dich. Ohne dich und ohne meine Frau. Jetzt aber kommt das Idiotischste, das Gemeinste an der ganzen Sache: Sowohl sie als auch du, ihr könnt sehr gut ohne mich! Dieser verfluchte Gedanke bringt mich noch um.«
Hadschichristov war betrunken. Sein Gesicht war schmerzverzerrt, das Glas in seiner Hand zitterte.
»Sie hasst mich auch«, fuhr er im Flüsterton fort, »aber was soll sie ohne mich machen? Als Sängerin ist sie Durchschnitt, und wenn ich ein paar Tage nicht da bin, fängt sie an, sich selbst zu hassen, verstehst du? Normalerweise hassen die Leute die anderen, um sich nicht selbst hassen zu müssen. Aber dich, dich mag Paulina. Sie ist regelrecht verliebt in dich.«
Er lachte auf. Fahrig. Freudlos.
»Wir sitzen samstags vor dem Fernseher, ich voller Hass, meine Frau voller Anbetung. Ist dir eigentlich klar, wie unmoralisch du bist?«
»Hör zu, reià dich zusammen.«
»Du bist ein platonischer Schwerenöter und hast mir meine Familie kaputtgemacht, du Dreckskerl!«
Jordan stand auf und ging. Niemand geleitete ihn hinaus auÃer dem Schweigen in seinem Rücken. Er durchquerte die beiden baufälligen Korridore, deren Wände mit Pflanzenornamenten und unbekannten tropischen Blumen bemalt waren. Auf dem Fries über dem Türsturz war ein Dreimaster abgebildet, ein kraushaariger Satyr mit aufgeblasenen Wangen pustete Wind in dessen gesetzte Segel. Der Nebel drauÃen hatte einen kranken gelblichen Abglanz angenommen.
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Bei dieser Erinnerung an seinen alten Studienkollegen Iwailo Hadschichristov beschlich ihn ein penetrantes und scharfes Schuldgefühl. Fast immateriell in ihrem dünnen Nachthemd, hatte Neda sich vermutlich an ihrer beider Tochter gekuschelt und versuchte, Schlaf zu finden. Er war überzeugt davon, dass sie sich absichtlich verspätet hatte an diesem Abend, um ihn zu verletzen und zu strafen. Sie fühlte sich angezogen, wenn er in auswegloser Lage war, wenn er schwer an etwas trug oder an etwas scheiterte; das bezauberte sie und flöÃte ihr Courage und Zuversicht ein. Ihre innere Angespanntheit, die Verachtung, die sie für ihn empfand, verflüchtigte sich im Nu, wenn er erniedrigt, beleidigt, niedergeschlagen oder buchstäblich verprügelt war. Sie war nicht in der Lage oder wollte nicht verstehen, dass es zu seinem Beruf gehörte, erfolgreich auszusehen, oberflächlich zu sein, vom Schicksal verwöhnt und vor allem glücklich! Wenn die Menschen pausenlos so einen Glückspilz sehen, machen sie ihn zu ihrem Idol und â spalten sich in eine Gruppe, die ihn vergöttert, und eine zweite, die ihn hasst, beide, weil das vollkommene
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