Seelenbrand (German Edition)
seiner Stimme verklang ungehört. Sie ist immer noch abgeschlossen! Er rüttelte an der Klinke. Der Schlüssel steckte, und der Riegel war von innen vorgeschoben. Hier ist sie also nicht raus, sonst hätte sie den Riegel doch wegschieben müssen. Ja, aber ...? Er drehte sich nochmals zum Kirchenraum um und blickte ratlos umher. Vielleicht ist sie noch in die Krypta hinuntergestiegen? Das war seine letzte Hoffnung! Mit pochendem Herzen rannteer zur Tür des Raums neben dem Altar, in dem sie hinter dem alten Schrank den Zugang zur geheimen Begräbnisstätte unter der Kirche gefunden hatten. Abgeschlossen! Verdammt! Genau so, wie ich sie gestern hinterlassen habe!
»Marie?« Das gibt’s doch gar nicht! Das Pochen in seinen Schläfen rumste wie ein Dampfhammer, und die Verzweifelung raubte ihm fast den Verstand. Ich hab’ doch mit eigenen Augen gesehen ... er trat noch mal an das Loch im Kirchenboden und versuchte sich für einen Augenblick zusammenzureißen ... wie sie vor mir in dieses Loch gestiegen ist ... und es gibt keinen anderen Ausgang!
Er überlegte noch einen Moment, drehte sich dann aber um, schritt zügig zur Kirchentür und überquerte schließlich im Laufschritt den Kirchplatz in Richtung Pfarrhaus. »Marie?« Er warf die schwere Tür wieder ins Schloß und raste in die Küche. Verdammt! Vielleicht ... Mit einem Knall zog er die Tür von außen wieder zu und eilte zur Pension hinüber.
Als er den Pfarrhof durch das Tor verließ, sah er schon auf der anderen Straßenseite Madame Pauline an ihrem Blumenbeet knien. Wenn seine Gedanken jetzt nicht gerade bei Marie gewesen wären, hätte er sich garantiert gefragt und gleichzeitig darüber amüsiert, wie diese füllige Person jemals wieder von den Knien auf ihre Füße kommen wollte. Aber jetzt hatte er keinen Sinn für derartige Gehässigkeiten.
»Ist Marie bei Ihnen?« Keuchend stand er vor ihr.
Überrascht blickte sie von den Blumen auf und erschrak augenblicklich. »Mein Gott! Wie sehen Sie denn aus, Herr Pfarrer?«
»Ja, ja, ich weiß!« Ungeduldig fuchtelte er mit den Händen. »Also, wo ist sie?« fragte er noch mal. Diesmal im Gendarmenton, vielleicht half das, ihre Gedanken anzuschubsen ...
»Aber, aber«, stotterte die dicke Wirtin, »sie ist doch bei Ihnen in der Kirche ... warum?«
Die letzten Worte hatte Pierre schon gar nicht mehr mitbekommen, da hatte er sich schon im Laufschritt in Richtung Atelier in Bewegung gesetzt. Seine letzte Hoffnung. Vielleicht ist sie dort! Er hatte noch nicht einmal die Hälfte des Weges zurückgelegt, als er schon von weitem die drei alten Tanten sah. Sie kamen ihm natürlich unausweichlich entgegen. Das darf doch wohl nicht wahr sein! Ausgerechnet jetzt! Er verlangsamte seinen Lauf und ging schließlich in einen zügigen Marschschritt über, um nicht so viel Aufsehen zu erregen. Die drei Drachen vom Pfarrkomitee! Als er näher kam, tuschelten sie schon von weitem. Er sah ja auch aus wie ein nasser Sack. Doch bevor sie auch nur ein Wort zu ihm sagen konnten, ergriff er die Initiative.
»Ja, ja«, er lächelte freundlich, ohne aber Anstalten zu machen stehenzubleiben, »die Wege des Herrn sind wirklich unergründlich!«
Er war schon fast an ihnen vorbei, als der Oberdrache schließlich doch noch deutlich das Wort an ihn richtete. »Junger Mann?«
Pierre verdrehte die Augen, blieb stehen und drehte sich wortlos um. Ich kann mir denken, welche Leier jetzt kommt! Wie können Sie bloß so schändlich herumlaufen ... wo doch Pater Zacharias ...
»Junger Mann!« Der alte Drachen zerschnitt seine Gedanken. »Hören Sie!« Sie zeigte mit ihrem Gehstock auf seine Hose und sein Hemd. »Sie sollten sich schleunigst etwas Trockenes anziehen. Sie holen sich ja den Tod!«
»Wirklich unvernünftig!« mischte sich die zweite ein.
»Denken Sie an Ihren kranken Rücken!« nickte der dritte Drachen und drohte ihm mit dem Finger.
»Die jungen Leute von heute sind viel zu sorglos!« Die Vorsitzende fuchtelte mit ihrem Stock. »Jetzt haben wir schon mal einen Pfarrer, und da können wir doch wenigstens verlangen, daß er ein wenig auf seine Gesundheit achtet!«
Einstimmiges Genicke der anderen Drachen.
»Die Jugend ...«, setzte eine von ihnen zu einem sehr, sehr langen Satz an – Pierre erkannte die drohenden Vorzeichen –, als er sie höflich unterbrach.
»Entschuldigen Sie, meine Damen, aber ich bin in einer dienstlichen Angelegenheit unterwegs, die keinen Aufschub duldet. Daher auch mein Aufzug!« Er sah an sich
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