Seelenbrand (German Edition)
schwarzen Rußschicht überzogen waren.
»Hier war doch meine Speisekammer«, flüsterte der fahle Jacques und deutete auf eine gemauerte Nische in der Wand. »Sehen Sie sich das an!« Er schob ein verkohltes Brett zur Seite, das auf dem Boden lag. »Hier ist doch tatsächlich ein Loch.« Er flüsterte immer noch. »Es muß so eine Art Eingang oder Schacht sein ... jedenfalls groß genug, um von dort in meine Speisekammer zu kriechen.« Aufgeregt sah er Pierre an. »Dann bin ich also doch noch nicht verrückt!«
»Das hab’ ich nie behauptet, mein Freund!« Er klopfte dem Totengräber geistesabwesend auf die Schultern, denn seine Gedanken waren immer noch bei Marie. Was sollten denn all diesegeheimen Gänge und die Rätseleien über das große Geheimnis der Kirche?
»Hören Sie mir überhaupt zu, Abbé?« Jacques griff ihn am Arm.
»Ja, ja, natürlich!« Pierre lächelte gequält.
»Und Sie glauben nicht, wie sehr es aus dem Loch gestunken hat, als ich die verkohlte Luke vorhin geöffnet habe.«
Pierre nickte wieder aus Freundlichkeit und lächelte. Aber eigentlich interessierte ihn dieses ganze Zeug überhaupt nicht ... er war weit, weit weg ... bei Marie. Natürlich hätte er dem Totengräber jetzt die Zusammenhänge mit der unterirdischen Krypta erklären können, aus der der Gestank wohl immer noch heraufstieg. Der Aushilfspfarrer mußte dort unten seit Wochen gelegen haben, bevor sie ihn schließlich mit Erde bedeckt hatten. Und ehe der faulige Gestank aus allen Gängen verschwunden war, besonders, wenn in ihnen keine Luft zirkulierte, das dauerte eben seine Zeit. Das, was Jacques in seiner Speisekammer entdeckt hatte, war wohl solch ein Luftschacht, wie der, der unter dem Grab auf dem Friedhof lag, und durch den er mit Marie in die unterirdische Halle gelangt war. Und die Erklärung, daß jemand durch diese Öffnung unbemerkt in sein Haus eingedrungen war, lag natürlich auf der Hand. Aber wen interessierte das jetzt noch?
»Ja, wir sollten dieser Sache irgendwann nachgehen!« Pierre hatte jetzt keine Lust zu reden und klopfte dem Totengräber freundschaftlich auf die Schulter. Nur mit Mühe konnte er sich den Weg zwischen den verkohlten Balken zurück auf die Straße bahnen. Es fehlte ihm jede Kraft. Der Gedanke, sie könnte irgendwo dort unten ... genau wie der Aushilfspfarrer in einer Grube liegen ... er war unerträglich. Er riß sich für einen Augenblick zusammen. »Ich werde mich um Ihr Loch kümmern«, rief er zu Jacques hinüber, der schon wieder an einem anderen vom Feuer geschwärzten Balken zerrte.
»Danke!« Der hob kurz die Hand zum Gruß und verbiß sich dann wieder in dieses widerspenstige Holzstück.
»Komm wir gehen!« Er sah den Hund an, der unschlüssig in Richtung Atelier blickte. »Nein, ich weiß auch nicht, wo sie ist!«
Als sie auf den Pfarrhof einbogen – Tante Pauline war offensichtlich doch wieder auf ihre Füße gelangt, denn die Stelle am Blumenbeet war verwaist –, fiel sein Blick auf die Kirche. Dieses verfluchte Gemäuer! Wie sehr hatte er sich in dessen Bann zerren lassen. Immer tiefer ... und was war jetzt dabei herausgekommen? Er hatte die phantastischste Frau, die er je gesehen hatte, in diesem verhexten Mausoleum verloren! Und das alles nur, weil sie unbedingt herumschnüffeln mußten ... Gäbe man ihm jetzt die entscheidenden Beweise für alle seine irren Theorien in die Hand – einfach so –, er würde sie, ohne sie zu lesen, verbrennen ... wenn er im Gegenzug dafür nur diese Frau wiederbekäme! Keine Wahrheit, auch wenn er damit die gesamte Zivilisation des Abendlandes auf den Kopf stellen könnte, war es wert, daß seine geliebte Marie ... irgendwo da unten ...
Wie betäubt hatte er das Pfarrhaus betreten, zwei große Eimer Wasser aus der Pumpe geholt und sich mit trockenen Sachen über der Schulter und einem Stück Seife in der Tasche in den Garten zum Brunnen begeben. Der zottelige Hund hatte sich müde in die Sonne auf den Kiesweg daneben gelegt. Langsam legte er seine vom Schießpulver und Petroleum verklebten Sachen neben dem Brunnen ab und stieg splitterfasernackt hinein. Die wohlige Wärme der Sonne und das übermütige Gezwitscher und Geflatter um ihn herum nahm er nicht wahr. Wie in Zeitlupe griff er nach der Seife und schrubbte seinen Körper damit ab. Traurig angelte er nach dem einen der beiden Wassereimer, hielt ihn sich über den Kopf und goß ihn über sich aus.
»Lieber Abbé!« rief jemand, und im selben Augenblick bogen die drei
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