Seelenbrand (German Edition)
herunter.
»Oh mein Gott!« Die alten Tanten waren ergriffen und blickten traurig zu Boden. »Dann lassen Sie die arme Seele nicht länger leiden und bringen Sie ihr die Letzte Ölung!«
»Wir wollen Ihnen und dem lieben Gott nicht im Wege stehen!« sagte eine andere eilig und gab den übrigen damit das Signal zum Weitergehen.
Letzte Ölung? Quatsch! Aber die Hauptsache war doch, daß er diese Drei schnell wieder losgeworden war. Er hatte unterdessen Maries Haus erreicht und ohne anzuhalten das Gartentor losgeschubst.
»Marie?« rief er und schlug mit der flachen Hand an die Haustür. »Bist du da?«
Als sich nichts rührte, ging er über den Rasen um das Haus herum in den Garten. »Marie?« Er drückte die Klinke der rückwärtigen Tür hinunter und schob sie los. Es war nicht abgeschlossen. Er stand mitten in ihrem Atelier. Der Geruch der Ölfarben war fast so intensiv wie der des Petroleums, das ihn immer noch verklebte. Bilder über Bilder, wohin er sah ... und dort hinten in der Ecke ... »Du bist mir ja ein schöner Wachhund!« Das riesige, schwarze Tier lag ausgestreckt auf der Seite auf seiner Decke und hob nur für einen Moment gähnend den Kopf.
»Marie?« Vorsichtig bewegte er sich an all diesen gerahmten Landschaften vorbei, die schon in Dreierreihen vor den Wänden standen, weil zum Aufhängen offensichtlich der Platz fehlte. Dort ihre Staffelei ... hier der Tisch mit den Farben und ihre verschmierte Malpalette.
»Na? Ausgeschlafen?« Der Hund hatte sich unter genüßlichem Recken und Strecken erhoben und war langsam mit wedelndem Schwanz zu ihm herübergekommen. Er tätschelte ihm kurz den wuscheligen Kopf und ging vorsichtig in den nächsten Raum, die Küche. Niemand da. Im Flur führte eine Treppe nach oben. »Marie?« Aber von oben kam keine Antwort.
Er überlegte einen Augenblick, ging dann aber entschlossen hinauf. Der zottelige Hund blieb unten an den Stufen stehen und sah ihm nach. »Bist du hier?« Zögerlich betrat er ihr Schlafzimmer, als ... plötzlich zuckte er zurück. Da steht doch jemand unbeweglich in der Ecke! Vorsichtig lugte er noch mal um den Türpfosten. Eine ... Schaufensterpuppe? In einem roten Ballkleid? Als er sicher war, daß es nicht schon wieder eine unangenehme Überraschung sein konnte – dieses verdammte Phantom schlich ja schließlich immer noch frei herum –, trat er ein und besah sich die Puppe in ihrem rauschenden Inferno aus Stoff und mit ihrem wahnsinnig tiefen Ausschnitt ... Hm! Er räusperte sich und wandte sich dann galant ab. Schließlich wollte er hier nicht herumschnüffeln. Wenn sie davon Wind bekäme, gäb’s gleich zwei blaue Augen! Eigentlich wollte er ja gar nicht hinsehen, aber aus den Augenwinkeln erkannte er auf ihrem Bett ein Meer von Spitze. Kissen, Decken und was immer da sonst noch liegen mochte, war überschwenglich mit feiner Spitze verziert und ließ das Ganze aussehen ... wie das Gemach einer Prinzessin. So, wie sie sonst herumläuft, sollte man gar nicht meinen ... Er rief sich zur Ordnung! Also nein! Was geht’s dich an! Beschämt von sich selbst, wollte er das liebliche Gemach gerade wieder verlassen, als ihm das ... zwei, drei, vier ... das fünfstöckige Bücherregal in der Ecke auffiel. Alles Fachliteratur! Er war beeindruckt. Davon konnte er sich noch eine Scheibe abschneiden. Das, was er an theologischer Literatur besaß, paßte in einen Schuhkarton. Bei seinen Automobilzeitschriften sah es da ja schon anders aus ... aber ... einfach beschämend, diese Fülle an wissenschaftlichen Werken ... Er war schon fast aus der Tür, als ihm das aufgeschlagene Buch auf dem Tisch auffiel. Geheime Sehnsüchte der Nacht? Ihm war eigentlich danach, sich zu räuspern. Nur einen Augenblick noch ... und dann geh’ ich ja auch wieder! Und schon stand er am Regal. Seine Augen wanderten mit Höchstgeschwindigkeit über die Buchrücken. Liebe und Leid? Leidenschaft im Abendrot? Und hier ... Das unaussprechliche Verlangen der Liebe ...
Er hatte genug gesehen! Eine Minute länger und das Petroleum und das Schießpulver auf seiner Haut würden sich von selbst entzünden und Feuer fangen. Auf Zehenspitzen huschte er wieder aus dem Zimmer. Damit war er eindeutig zu weit gegangen! Aber es war schließlich ein Notfall ... Aber mußtest du dafür das Bücherregal untersuchen? fragte ihn diese penetrante innere Stimme.
»Marie!« rief er, um diesem lästigen Spielverderber den Mund zu verbieten. Er sah die Treppe hinunter, vor deren Absatz immer noch
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