Seelenbrand (German Edition)
ihm das Schicksal hier unten wenigstens den fahlen Schein seiner Lampe zugestandenhatte. Wäre sie mit ihm von der morschen Treppe hier hereingefallen und verloschen ... in der Dunkelheit hätte es kein Entkommen mehr gegeben. Aber sie hing dort oben, wie die Sonne ...
»Marie!« rief er nochmals so laut er konnte.
Ich muß sie finden, vielleicht braucht sie meine Hilfe! Ich muß hier raus! Egal wie! Ich muß .. . Ratlos sah er sich um. Aber wie? Dort oben, es mochte drei oder vier Meter über ihm sein – also völlig außerhalb seiner Reichweite –, dort, wo die steinernen Stufen in die hölzerne Treppe übergingen, ragten zwei dicke Balken aus der Wand, die wohl ursprünglich die Holzkonstruktion getragen hatten. Er schnaufte und suchte die Oberfläche der Suppe nach etwas Brauchbarem ab. Ich muß hier raus, bevor die Kälte meine Knochen einfriert! Aber wie? Seine Hände fuhren über die glatten Wände. Keine Chance! Nirgendwo ein Halt!
Stille. Er legte seinen Kopf in den Nacken und sah lange nach oben.
Das Seil! Wo ist dieses verdammte Seil? Hektisch suchte er mit seinen Händen die ölige Oberfläche ab. Ich hatte es doch um meinen Hals, als die Treppe zusammengesackt ist. Es muß doch irgendwo sein! Vorsichtig bewegte er sich durch das Gewirr von schwimmenden Brettern, Bohlen und Balken. Was ist denn das hier für ein Ding? Am anderen Ende des Beckens schwappte etwas Rundes auf und ab, das nicht von der Treppe stammen konnte. Und da ist noch eins! Er streckte seinen Arm aus und versuchte das glitschige, runde Holzding mit der Hand zu greifen. Ein Fäßchen? Hier? Er sah sich das kleine Behältnis noch einmal an. Kein Zweifel! Genau wie das im Stollen unter der Burg der Blancheforts ... ein Pulverfaß! Daher kam dieser schwarze Schmier! Es war die Kohle des Schießpulvers, die an der Oberfläche trieb. Da war es nicht weiter verwunderlich, daß diese Mischung seinen Augen derartig zusetzte. Es bestand zwar nicht die Gefahr, daß er gleich das zweite Mal – in vierundzwanzig Stunden – in die Luft gesprengt würde, aber die Frage war doch: woher kam das Zeug, und was sollte es hier? Stand er hier unten vielleicht in so einer Art ... Müllkippe, die die Bergleute hinterlassen hatten, als sie sich – wie ihm Marie verraten hatte – durch die Berge der Region gefressen und alles unterhöhlt hatten? Woher sollte das Schießpulver denn sonst kommen?
Uah! Da ist doch was an meinem Bein! Etwas, das unter der Oberfläche schwebte ... Blindlings griff er hinunter und schnappte zu. Es war das Seil, das er so verzweifelt gesucht hatte, und das sich jetzt, wie ein Meeresgetier, in langen Schlingen und Windungen schwebend, in der Suppe treiben ließ.
Während er angestrengt nach oben blickte und das Seil wie in Trance aus der Brühe zog, wurde ihm klar: Es gibt nur diesen einen Weg hinaus! Aber ... hatte er sich nicht immer nach einem richtigen Abenteuer gesehnt?
Die Schlinge war fertig. Jetzt brauchte er sie nur noch über die aus der Wand herausstehenden Balken zu werfen und schon wäre er draußen! Aber das, was jetzt kam, hatte er schon befürchtet: Theorie und Wirklichkeit ... Verdammt! Das war nichts! Meilenweit daneben geworfen! Das Seil klatschte auf die Suppe zurück. Die Höhe war ja schon nicht so schlecht ... ein bißchen mehr nach links ... Allmählich machte ihm das kalte Wasser zu schaffen. Seine Beine wurden zusehends steifer, und seine Arme, die Gott sei Dank noch nicht wußten, was ihnen bevorstand, begannen vor Kälte zu zittern. Konzentration und ... Verflucht! ... Daneben! Er wandte sein Gesicht ab, um die Augen vor der spritzenden Brühe in Sicherheit zu bringen, als das Seil erneut aufklatschte. Der Gedanke, daß sich Marie in einer ähnlich mißlichen Lage befinden konnte und auf seine Hilfe hoffte, ließ ihn dieses sinnlose Unterfangen ... Da! Das war knapp! ... trotz der zahllosen Fehlversuche fortsetzen. Noch ein bißchen mehr nach links ... und ... Da! Es hängt! Ja! Und jetzt gaaanz vorsichtig ... die Schlinge zuziehen ... Erleichtert schloß er die Augen und ließ den Kopf auf die Brust sinken. Geschafft!
Nach einer kurzen Schweigeminute griff er sich entschlossen das Seil und ruckte daran. Gott sei Dank! Es hält! Er sah nach oben zum Balken. Gute Arbeit! Wenn ihn schon niemand anderes für diesen grandiosen Wurf lobte, dann mußte er es eben selbst tun. Grandios? Für einen Pfaffen war der Wurf brillant! Er legte seine Hände fest um das glitschige, petroleumgetränkte Seil und
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