Seelenbrand (German Edition)
Tanten vom Pfarrkomitee um die Ecke. »Wir wollten doch nur ...« Weiter kam der Oberdrache nicht. Die Drei blieben wie elektrisiert stehen und rissen ihre Augen – so wie beim Anblick des Todes – weit auf. Kreischend schlugen sie sich die Hände vor ihre zerfurchten Gesichter. Alle? Nein! Alle ... bis auf eine ...
»Martha! Ich bitte dich!« fauchte die Vorsitzende, ehe die dritte es schließlich ihren beiden Freundinnen gleichtat und – wenn auch nur mit Widerwillen – ihre Augen ebenfalls bedeckte.
Pierre wischte sich die Seife aus dem Gesicht und blieb ungeniert – und ohne seine Blöße zu verbergen – tropfend im Brunnen stehen, griff sich den zweiten Eimer und schüttete ihn ebenfalls über sich aus.
»Martha! Also wirklich, schäm dich!«
Er wußte zwar nicht, was die Alten nun schon wieder von ihm wollten ... aber die augenblickliche Situation war ja wohl an Peinlichkeitkaum noch zu überbieten. Der Pfarrer des Dorfes nackt im Brunnen! Welch ein Schock! Aber dieser Drache namens Martha konnte es ja wohl nicht lassen, ein Auge zu riskieren. Diese Pharisäer!
»Junger Mann!« Die Frau Vorsitzende ergriff nun aber resolut das Wort, ohne die Hand von den Augen zu nehmen. »Ich weiß zwar nicht, was das zu bedeuten hat, aber glauben Sie nicht, wir hätten noch nie einen nackten Mann gesehen!«
»Hi, hi, hi!« kicherte jemand.
»Vielleicht«, sie räusperte sich lautstark, »sollten wir später wiederkommen, wenn Sie Ihre ... Körperpflege beendet haben!« Sie drehte sich – die Hand immer noch vor den Augen – zu ihren Begleiterinnen. »Meine Damen! Wir gehen!«»Hi, hi, hi!« kicherte wieder einer der Drachen, während sie sich umdrehten und das Weite suchten.
»Martha! Also wirklich! Schäm dich!«
Mehr konnte er nicht hören, da waren sie schon wieder um die Ecke verschwunden. Er stieg aus dem Brunnen und griff nach dem Handtuch. Sollen sie doch denken was sie wollen! Seine Gedanken kreisten nur um Marie. Wollte ihn Gott etwa dafür bestrafen, daß er seine Nase in Dinge gesteckt hatte, die mehr als eine Kragenweite zu groß für ihn waren? Dafür, daß er mutwillig am Stuhl des Allmächtigen gesägt hatte? Seinetwegen konnten der Allmächtige ... und seine Komplizen hier unten in der Kirche ... all ihre Geheimnisse für sich behalten ... er wollte nur Marie wiederhaben.
»Komm, wir gehen rein!« Er gab dem Hund einen Wink, nachdem er sich die trockenen Sachen angezogen hatte. Erschöpft ließ er sich am Küchentisch auf einen Stuhl sinken.
Stille. Sein behäbiger Gast kam erst jetzt zur Tür hereingewackelt und legte sich sofort unter den Tisch zu seinen Füßen.
»Ja, da sitzen wir nun«, sagte Pierre leise, als er seinen Kopf auf die rauhe Tischplatte sinken ließ und dabei sein Gesicht zwischen den Armen vergrub. Franziskus hatte sich über seine Füße gelegt. Er spürte seine Wärme und das Schlagen seines großen Herzens. Das monotone Ticken der großen Uhr im Arbeitszimmer war das einzige Geräusch, das durch das tote Gemäuer irrte. Ich bin am Ende! Sein Leben war ein Trümmerhaufen. Und das schlimmste war die Erkenntnis, daß er es leichtfertig verschwendethatte. Er hätte sich niemals dazu drängen lassen dürfen, Pfarrer zu werden. Es gab wohl nichts, was seiner inneren Natur fremder und feindlicher gegenüberstand, als dieses schwarze Gewand. Soll es doch da oben im Schrank vergammeln! Mistding!
Vorsichtig zog er seine Füße unter dem schweren Tier zurück und öffnete den Küchenschrank. »Hier! Das ist für dich!« Er schnitt ein Stück vom Braten ab und legte es auf einen Teller. »Er ist zwar von gestern, aber immer noch lecker!« Mühsam richtete sich sein schwarzer Gast auf, trottete zu ihm herüber, schnüffelte kurz an dem Fleischstück und verkroch sich dann wieder unter dem Tisch.
Pierre nickte. »Ich weiß, ich hab’ auch keinen Hunger.« Er nahm sich ein Glas aus dem Schrank. »Aber wir können nur abwarten.« Hastig ging er zum Vorratsschrank hinüber und fischte das kleine Cognacfäßchen heraus. »Gott sei Dank haben wir neue Medizin im Haus«, sagte er traurig, als er den Korken mit einem Quietschen herausdrehte und sich sein Glas bis zum Rand vollgoß. Das pochende Herz seines Freundes lag wieder auf seinen Füßen.
Jetzt erst fiel ihm der seidene Schal auf, der über der anderen Stuhllehne hing. »Er gehört der phantastischsten Frau, die ich je getroffen habe, mein Freund.« Er reckte sich über den Tisch und angelte mit den Fingern nach dem luftigen
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