Seelenbrand (German Edition)
ihrer Sache aber doch nicht so ganz sicher.
»Wenn du mir nicht glaubst«, er warf sich sein Hemd wieder über und begann es zuzuknöpfen, »dann frag sie selbst!«
»Du nimmst mich doch auf den Arm, oder?« fragte sie noch mal, und ihre Nasenspitze berührte dabei fast die seine, als sie provozierend tief in seine Augen sah. »Schäm dich! Hat dir schon mal jemand gesagt, daß du ein richtig guter Lügner bist?« Sie ließ von ihm ab. »Na, dann eben nicht! Aber ich kriege es schon noch heraus ... splitternackt im Brunnen ... als Pfarrer!« Mit gespielter Entrüstung schüttelte sie ihren Kopf.
»Also!« Um sie weiter in der Ungewißheit schmoren zu lassen, wechselte er schnell das Thema. »Was war nun so dringend?« Sie setzten sich wieder in Bewegung, um Severin am Pfarrhaus nicht länger warten zu lassen.
»Hast du seine Kutte gesehen?« fragte Marie schließlich, als sie merkte, daß sie Pierre die Wahrheit über die Vorgänge am Brunnen ohnehin nicht entlocken konnte ... jetzt jedenfalls noch nicht.
»Welche Kutte?«
»Na ... Severins!«
Sie blieben wieder stehen. »Also mach’s nicht so spannend!«
Sie genoß wie immer ihren Wissensvorsprung. »Hast du den Saum seiner Kutte gesehen? Sie ist genau an der Ecke zerfetzt, mit der das Phantom in der Ruine von Blanchefort hängengeblieben ist und sich dabei das Stück Stoff herausgerissen hat!«
Pierre überlegte. »Aber Severin könnte sich diesen Riß überall geholt haben. Du müßtest zum Beispiel mal seine Ziegen kennenlernen ... die Biester fressen einfach alles!«
»Und was ist damit ?« Wie ein Zauberer fuhr sie mit zwei Fingern in ihre Hosentasche und holte einen Stoffetzen heraus, den sie Pierre mit einem Siegerlächeln dicht unter die Nase hielt. »Das Stück stammt aus der Ruine! Ich hab’ es schnell eingesteckt, als du schon hinter diesem Phantom hergejagt bist. Das liest man doch in jedem Detektivroman ... daß man damit hinterher die Person wiederfinden kann, die ...«
»Ich dachte, du liest nur Fachbücher?« unterbrach er sie, wohlwissend, daß ihr Haus überquoll von diesen schnulzigen Herz-Schmerz-Romanen. Nur gut, daß sie keine Ahnung davon hatte, daß er es wußte. Wenn er sie jetzt auch noch fragen würde, warum sein halbfertiges Porträt abgedeckt auf ihrer Staffelei stünde, dann würde sie bestimmt so wild, daß sie es in ihrer Rage sogar mit dem kleinen Hornissenboxer und dessen tödlichem linken Haken aufnehmen würde. Also beschloß er, diese Dinge zunächst noch für sich zu behalten.
»Wenn dieser Fetzen zur Kutte von Severin paßt«, sagte er schließlich, »dann muß ihm das Phantom das schwarze Gewand vor die Tür gelegt haben. Ich weiß aber nicht warum?«
»Vielleicht, um den Verdacht von sich abzulenken?«
»Hm!« Pierre strich sich übers Kinn. »Kennst du eigentlich diesen Pfarrer, der bei Pater Zacharias war?«
»Natürlich! Das war Abbé Fabrizi, er ist Italiener! Er ist schon ewig in unserer Nachbargemeinde. Viele nennen ihn liebevoll nur den Monsignore. Er hat sich immer gut mit unserem alten Pfarrer verstanden. Aber irgendwann hab’ ich ihn hier nicht mehr gesehen!« Sie zuckte mit den Schultern. »Vielleicht haben sie sich gestritten? Ich weiß es nicht.«
Sie bogen zum Pfarrhaus ab und betraten den Hof. »Wo istSeverin eigentlich geblieben?« Da er an der Tür nicht zu finden war, machten sie zwei Schritte in den Garten. »Bruder Severin?« rief Pierre. Keine Antwort. »Ich hab’ doch gesehen, wie er zum Pfarrhaus gegangen ist.«
»Schade!« Enttäuscht steckte Marie ihren Stoffetzen wieder ein. »Dabei hätte ich so gern herausgefunden, ob er die Kutte des Phantoms trägt.«
»Du glaubst doch nicht etwa«, fragte er erstaunt, »daß er mit dem Brand in der Villa zu tun hat? Oder, daß er hier in der Nacht herumschleicht?«
Sie schlenderten bis zur Kirche herüber und sahen sich um. Aber Severin war nicht zu sehen. Am Portal blieben sie schließlich stehen und wollten schon wieder umdrehen.
»... Terribilis locus iste ...«
»Was meinst du ...«, Pierre sah zur Inschrift über der Kirchentür hinauf, »... ob der Alte der Welt vielleicht eine ganz andere Nachricht hinterlassen wollte, als wir bislang vermutet haben?«
D IESER O RT IST SCHRECKLICH !
Angestrengt betrachtete er die vermoosten Buchstaben. »Vielleicht ...«, murmelte er schließlich, »... meinte er damit ja gar nicht die Kirche. Vergiß nicht, was Severin uns über unser wahres Dasein auf dieser Welt verraten hat. Vielleicht
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