Seelenbrand (German Edition)
hat.«
»Warum haben Sie ihn denn nicht einfach zugeschüttet?«
Von Rittenberg saß unbeweglich da und sah ihn lange an. »Ich habe Ihre Kreativität in dieser Frage bereits vor Ort bewundert«, sagte er schließlich.
War das ein Kompliment? Und gleichzeitig ein Eingeständnis der eigenen Unzulänglichkeit? Diese graue Maus hatte also ihre Fehler und Schwächen ... gut zu wissen ...
Marie seufzte vor sich hin und kuschelte sich zitternd in ihre Decke. An ihrem Gespräch schien sie keinerlei Interesse zu haben. Verständlich!
»Arme Person!« Von Rittenbergs Stimme suchte nach der richtigen Tonlage, die Mitleid ausdrücken sollte. »Sie sollte sich diese private Angelegenheit nicht zu sehr zu Herzen nehmen. Gemessen an den Dingen, mit denen ich es hier zu tun habe, sind sie ohne Bedeutung!«
»Sie haben wohl keine eigene Familie?«
»Nein!« Seine Stimme war wieder eiskalt. »Ich bin meine Familie!«
Schweigen! Sackgasse! Schnell ... ein neues Thema muß her ...
»Weiß der Papst, daß Sie hier sind?«
Oh Mann, wie konnte er nur so etwas Naives fragen? Aber etwas Besseres war ihm auf die Schnelle nicht eingefallen, und er mußte unbedingt verhindern, daß die Atmosphäre wieder abkühlte und vereiste.
Von Rittenberg erhob sich langsam von seinem Stuhl, griff nach seiner Pistole und ging zu der großen Transportkiste hinüber, die in einer Ecke stand. »Wir können den Heiligen Vater nicht mit allem belästigen«, antwortete er schließlich.
»Ist denn die Entdeckung dieser Grabkammer, in der die Ehefrau unseres Herrn Jesus Christus begraben sein soll, ohne Bedeutung?«
»Für den Glauben schon.« Von Rittenberg war wieder kalt undseine Stimme ohne Leben. »Es gibt Dinge, die die Menschen verwirren. Und Menschen die verwirrt sind, zweifeln an ihrem Glauben ... und um genau das zu verhindern, bin ich hier.«
»Dann halten Sie es tatsächlich für möglich«, Pierre wurde ganz heiß, »daß der Sohn des Allmächtigen verheiratet war?«
»Natürlich!« Von Rittenberg war sichtlich erstaunt über eine solche Frage. »Wie hätte er denn sonst die ganzen Kinder in die Welt setzen sollen?«
Pierre blieb die Spucke weg. »Erlauben Sie, daß ich mir noch von Ihrem Wein nehme?«
»Ja, natürlich! Ein wirklich vorzüglicher Jahrgang!« Der alte Fuchs beäugte Pierre verstohlen von der Seite, als sich dieser erhob und sich nachschenkte, entspannte sich aber, als er bemerkte, daß sein Gast keine weiteren Hintergedanken hatte.
»Ja, ja«, von Rittenberg beugte sich über eine Kiste, »die Leute sind immer wieder schockiert, wenn man sie aus ihrem naiven Kinderglauben herausreißt.« Er blickte zu Pierre herüber, der sich in sicherer Entfernung an den Schreibtisch lehnte. »Oder haben Sie wirklich daran geglaubt, daß sich plötzlich der Himmel aufgetan hat, und Jesus auf einer Wolke entschwunden ist?«
Pierre schwieg und dachte nach.
»Sie haben es also tatsächlich geglaubt?« fuhr von Rittenberg wie ein Hackmesser dazwischen.
»Wie können Sie so etwas sagen?« Pierre war perplex. »Sie arbeiten doch für unsere Kirche, wenn ich Sie richtig verstanden habe.«
Von Rittenberg nickte. »Wir sind gewissermaßen die unsichtbaren Diener des Glaubens.«
»Also gibt es noch mehr von ihnen?«
»Natürlich!« Der kleine Mann zuckte mit den Schultern. »Wir sind in gewisser Weise für die Hygiene unseres Glaubens zuständig.«
»Hygiene?«
»Ja, wir sorgen im Verborgenen dafür, daß alles das, was der Heiligen Schrift widerspricht oder zu unnötigen Diskussionen über die Kirche führen könnte, gewissermaßen ... ausgesondert ... wird, bevor es das Licht der Welt erblickt.«
»Warum?«
»Weil eine Infragestellung des Glaubens immer mit einer Infragestellungder Kirche verbunden ist. Und das macht einige Leute nervös. Sie hassen Veränderung. Veränderung ist gleichbedeutend mit Chaos.«
»Meinen Sie den Papst?«
»Nein!« Von Rittenberg heulte regelrecht auf vor Amüsement. »Wie naiv von Ihnen!« Es war echte Verzückung, die den Irren da für einen Augenblick übermannt hatte. »Seine Heiligkeit weiß noch nicht einmal, daß es uns gibt. Wir sind schon seit vielen hundert Jahren ein ... kleines Rädchen ... im Räderwerk unserer Kirche und haben als unsichtbare Geister die Aufgabe ... die Mutter zu schützen, die uns alle nährt, wenn Sie mir diesen Vergleich gestatten.«
Er ging zu seinem Schreibtisch zurück und deutete Pierre, sich wieder auf die Kiste zu setzen. »Stellen Sie sich einmal vor«, er
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