Seelenbrand (German Edition)
hat diese Stelle mit der Himmelfahrt und diesem Entschweben in die Wolken ... übrigens ja nie so recht gefallen ... aber die Leute haben es geschluckt, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, daß es gelogen sein könnte. Naja ... sagen wir ... daß es überidealisiert sein könnte.«
Er lehnte sich zufrieden in seinem Sessel zurück. »Ist das nicht phantastisch, welche Macht wir haben? Wir sind unsichtbar ... und doch leiten wir die riesige Herde dorthin ... wo unsere Mutter Kirche sie haben will. Und Sie als Pfarrer sind genauso blind, wie alle anderen!« Er sah Pierre kurz an, bevor er sich wieder seinem Notizbüchlein zuwandte. »Nicht einmal Sie ... als intelligenter Mensch ... haben es gewagt, den Glauben anzuzweifeln ... egal, welch abenteuerliche Märchen man Ihnen vorgesetzt hat. Und warum?«
Pierre wußte keine Antwort und schwieg.
»Weil Sie die Wahrheit gar nicht wissen wollen!« Er legte seine Waffe wieder beiseite. »Aber ich werde sie Ihnen sagen! Und ich erinnere Sie daran, daß es hauptsächlich das Verdienst meiner eigenen Dienststelle ist, daß alle Belege in mühevoller Kleinarbeit zusammengetragen und verborgen werden konnten ... ehe sie Schaden anrichten konnten.«
Marie hatte sich mit einem leisen Schnaufen aufgesetzt und blickte – immer noch in ihre Decke gehüllt – zu ihnen hinüber.
»Es freut mich«, von Rittenbergs Stimme klang schon fast herzlich, »daß Sie sich besser fühlen, Mademoiselle Darmond. Dannhat sich damit die Zahl meiner Zuhörer wohl schon verdoppelt. Ein ungewöhnlich großes Publikum für jemanden ... der eigentlich gar nicht existiert.«
Marie wischte sich die Tränen aus den Augen. Sie machte aber nicht den Eindruck, geistig anwesend zu sein.
»Ist es möglich«, da dieser von Rittenberg eine Menge zu wissen schien, wollte Pierre die Gunst der Stunde nutzen, »daß sich in dieser Kammer tatsächlich die Gebeine der ... Maria Magdalena ... befinden, der Ehefrau unseres Herrn Jesus Christus?« Er bekam eine Gänsehaut.
Von Rittenberg machte eine leichte Bewegung mit seinem Kopf zu Marie hinüber und holte einen kleinen runden Käse aus der Schublade seines Schreibtisches. »Mademoiselle Darmond sitzt schon die ganze Zeit auf ihnen!« sagte er beiläufig, während er nach einem Messer angelte.
Ein Schrei! Angeekelt sprang Marie auf und kam zu Pierre hinüber gehastet. Von Rittenberg zeigte keine Regung. Seelenruhig schnitt er an einer Stelle des Käselaibes ein Stück der Kruste ab.
»Da ich leider nur über diesen einen Stuhl verfüge«, sein Mundwinkel zuckte, »kann ich Ihnen bedauerlicherweise nur diese harte Transportkiste als Sitzgelegenheit anbieten.« Er erhob sich – nicht ohne vorher seine Mauser zu greifen – und ging zu der Bretterkiste hinüber, die an der anderen Wand stand. »Wenn Sie sich hier herüber bemühen würden!« Galant bat er Marie zu sich, während er den Deckel provisorisch auf das Behältnis legte, so daß sich eine Sitzfläche ergab. »Wie Sie sehen, ist die Kiste mittlerweile bis zum Rand gefüllt. Meine Aufgabe hier ist also fast beendet. Morgen hätte ich mit der Verpackung der Gebeine begonnen.«
»Ich kann nicht glauben«, Marie machte es sich währenddessen so weit es ging auf der Holzkiste bequem, »daß in dem Sarkophag nach zweitausend Jahren noch Überreste zu finden sind?«
»Oh!« Von Rittenberg ging langsam zu seinem Schreibtisch zurück, nachdem er sich vergewissert hatte, daß seine Gäste so gut wie möglich versorgt waren. »Bedenken Sie, daß die Gebeine der Heiligen Drei Könige ... die ebenso alt sind, wie diese, auf denen Sie die ganze Zeit gesessen haben ... heute ebenfalls noch existieren.« Er schnitt sich ein Stück vom Käselaib ab. »Ich hattedamals sogar die Ehre, sie persönlich in Augenschein nehmen zu dürfen.«
»Haben Sie die Reste auch nach Rom geschickt?« Marie schien langsam ihre Neugier wiederzufinden. Ein gutes Zeichen!
»Nein, natürlich nicht!« Von Rittenberg mühte sich, ein weiteres Stück Käse abzutrennen. »Nach einer langen Odyssee über Konstantinopel und Mailand liegen sie jetzt in der deutschen Stadt Köln am Rhein!«
»Und warum haben Sie diese Knochen nicht beiseite geschafft?« Marie ließ nicht locker.
»Meine Liebe!« Von Rittenberg setzte gerade das Käsemesser zum drittenmal an. »Das liegt doch auf der Hand!« Er reichte ihr die letzte Scheibe, die er gerade abgeschnitten hatte. »Sie sind ohne Bedeutung für meine Dienststelle ... weil sie die
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