Seelenbrand (German Edition)
Marie erfüllte den Raum.
»Woher haben Sie das?« Pierre mußte sich wieder die Tränen abtupfen.
»Es lag in einem kleinen Kästchen in seinem Grab. Ich bin bei meinen Nachforschungen zufällig darauf gestoßen, und da es für mich keinen Wert hatte ...« Von Rittenberg nahm seine silberne Brille ab und polierte sie ausgiebig.
War das ein Zeichen von Anteilnahme? Seine Gesichtszüge ließen jedenfalls keine Rührung erkennen. Das ist ja nicht zu fassen! Daß an dieser Geschichte mit ihren Eltern und diesem Feuer irgend etwas nicht stimmte, das war ja klar ... aber daß die Wahrheit noch unglaublicher sein würde, als diese offensichtliche Lügengeschichte ... Wie von einer Keule getroffen saß er da. Marie weinte immer noch vor sich hin. Verständlich! Für sie hatte sich gerade, von einem Augenblick auf den anderen, ihr ganzes Leben verändert.
Von Rittenberg saß regungslos – wie ausgestopft – an seinem Schreibtisch und sah zu ihnen herüber. Er schien es nicht sonderlich eilig zu haben. Pierre hängte sich das Schutzamulett um den Hals und faltete den Brief langsam zusammen. Er würde ihr die Sachen später geben, wenn sie wieder oben waren, was ihn nun aber zu der entscheidenden Frage brachte ...
»Wann können wir gehen?«
»Bitte ...«, von Rittenberg verzog gelangweilt das Gesicht, »... wie ich Ihnen vorhin schon gesagt habe, genießen Sie Ihren Aufenthalt hier. Ihr Hiersein ist ein Privileg, um das Sie die Menschheit beneidet.«
Eigentlich hatte er tausend Fragen an diesen undurchsichtigen Menschen da hinter seinem polierten Schreibtisch. Er kannte bestimmt alle Antworten. Da dieser aber ein unberechenbares Etwas war ...
»Wissen Sie eigentlich, wo Sie hier sind?« Von Rittenberg breitete seine Hände aus. Erstmals hörte Pierre in dessen Stimme so etwas wie Begeisterung, und ein zartes Lächeln umspielte seinenMund. »Wir befinden uns hier am bedeutendsten Ort der gesamten Christenheit.« Seine Stimme hatte sich für einen Augenblick völlig verändert. Sie war weich und wohlklingend. Er hatte sich erhoben und schritt langsam durch den Raum, die Pistole in seiner Hand. »Das kleine Dorf über uns, unser ganzes Land, unser aller Glaube ...«, dieser ausgestopfte, schräge Vogel kam regelrecht ins Schwärmen, »... ja, sogar unser gesamtes Universum ... alles ist um diese Kammer hier herum gebaut worden.« Liebevoll streichelte er seine Pistole. »Meine Dienststelle hat uns beide hierher gesandt, um alles gewissenhaft zu archivieren und festzuhalten. Präzision ist unser Geschäft!«
Dieser Spinner redete von seiner Waffe wie von einem Menschen. Der war ja noch gefährlicher, als er gedacht hatte ...
»Sie befinden sich hier«, fuhr er stockend fort – vielleicht war es Ergriffenheit, »in der Grabkammer der Maria Magdalena, der Ehefrau unseres Herrn Jesus Christus!«
Pierre fiel fast hintenüber. »Das ist doch wohl ein Scherz?«
Oh! Das hätte ich wohl besser nicht fragen sollen.
Von Rittenberg fletschte die Zähne und richtete seine Waffe auf ihn. »Sehe ich so aus, als ob ich Scherze mache?« zischte er, und Pierre standen augenblicklich sämtliche Nackenhaare zu Berge, als sich der Zeigefinger des Irren am Abzug krümmte.
»Entschuldigen Sie!« japste er schnell aus seiner Ecke. »Ich wollte Sie wirklich nicht beleidigen!«
Der Schwarzgekleidete sah ihn eine Ewigkeit lang scharf an, ehe sich sein Finger wieder entspannte. »Siehst du«, sagte er schließlich sanft zu seiner Mauserpistole, »so sind die Menschen! Sie verstehen nur die Sprache der Gewalt!«
Puh! Dieser Rückzug kam gerade noch rechtzeitig. Er mußte höllisch aufpassen, was er sagte. Dieser Kerl war genauso explosiv, wie das Pulver in den Gängen da draußen.
»Maria Magdalena«, Pierre schluckte und hoffte so den gerissenen Gesprächsfaden wieder reparieren zu können, »war also die Ehefrau unseres Herrn Jesus Christus?«
Also, wenn er nicht genau wüßte, daß er schon ewig keinen Cognac mehr getrunken hatte, würde er annehmen, er wäre sturzbetrunken und seine Ohren spielten ihm einen Streich.
»Genau deshalb bin ich hier!« Von Rittenbergs Gemütsbewegungen waren wieder verpufft, und er war so eisig wie zuvor.»Meine Dienststelle hat immer gewußt, daß ihr Grab hier im Süden des Languedoc liegen mußte. Irgendwo! Seit Jahrhunderten sind wir jedem Hinweis nachgegangen, bis wir schließlich – mit der Hilfe des Vaters der jungen Dame da drüben – diese Kammer entdeckt haben.«
Pierre faßte sich an den
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