Seelenbrand (German Edition)
Anarchie wären die Folgen.« Er sah Pierre scharf an. »Und der Untergang unser aller Mutter, die so gut für uns sorgt.«
»Sie halten die Überreste hier für so gefährlich?«
»Nein! Natürlich nicht! Aber sie bringen Unruhe. Wie wollen Sie den Narren da oben erklären, daß die Frau, die sie aus der Bibel als die Sünderin Maria Magdalena kennen ... plötzlich die Ehefrau von Jesus Christus gewesen sein soll? Selbst wenn es stimmt!«
Pierre schwieg. »Stimmt es wirklich?« fragte er vorsichtig nach.
Von Rittenberg überlegte lange, ehe er antwortete. »Sie haben mir gerade eine Abschrift ihrer Heiratsurkunde gebracht!« Er deutete auf das von ihnen so respektlos behandelte Stück Papier auf seinem Schreibtisch, das Pierre die ganze Nacht über in der Hosentasche gehabt hatte.
Jetzt verstand er. »Deshalb mußten Sie dieses Dokument unbedingt haben!«
»Damit Sie sich keine Illusionen über die Bedeutung dieses Stückchens Papier machen«, von Rittenberg winkte ab, »muß ich Ihnen sagen, daß wir bereits mehr als nur diesen einen Beleg für ihre Hochzeit in unserem Besitz haben.« Er zog das unscheinbare Dokument zu sich heran und betrachtete es einen Moment. »Hier wird der September des Jahres 30 als Monat der Eheschließung angegeben ... also knapp drei Jahre vor der Kreuzigung.«
»Erschüttert es Sie nicht?« Pierre wunderte sich, daß dieser von Rittenberg im Angesicht eines solch ungeheuerlichen Dokumentes so kalt blieb.
»Nein!« Er zog sein kleines Notizbüchlein zu sich heran und blätterte zurück. »Ich glaube, Monsieur du Lac, Sie haben immer noch völlig falsche Vorstellungen von der Realität unseres Glaubens. Das, was Sie dort oben Ihren Schafen verkünden, ist doch nichts weiter als ein Mythos ... sagen wir ... ja ... eine hübsche Geschichte. Einfach und daher von jedem schlichten Gemüt zu begreifen. Das ist alles!«
»Sie wollen mir also tatsächlich weismachen, daß Jesus verheiratet war?« Pierre sah von Rittenberg tief in seine kleinen Augen. »Verheiratet mit Maria Magdalena?«
Der kleine Mann mit dem kahlen Schädel hörte einen Moment auf zu blättern und verzog gequält sein fahles Gesicht. »Gütiger Himmel!« stöhnte er mit seiner piepsigen Stimme. »Sie haben es offensichtlich immer noch nicht begriffen!« Er beugte sich über seinen Schreibtisch in Pierres Richtung. »Es ist alles eine Lüge! Verstehen Sie? Eine ... Geschichte ... eine Legende ... ein Märchen! Und Sie und Ihre eifrigen Amtskollegen ...«, er deutete mit dem Finger auf Pierre, »... Sie sind gewissermaßen die Märchenerzähler in diesem Spiel!«
Pierre blieb die Luft weg.
Ungerührt fuhr von Rittenberg fort. »Soll ich Ihnen mal vorlesen, was meine Abteilung über viele Jahrhunderte über Ihren ... Jesus Christus ... zusammengetragen hat?« Er legte seinen Finger unter eine Stelle in seinem Notizbüchlein.
»Warum sollten Sie das tun?« Dieser von Rittenberg wollte ihm doch eine Falle stellen. Welchen Grund gäbe es denn sonst dafür, daß er ausgerechnet ihm die innersten Geheimnisse der Kirchenverwaltung verraten wollte?
»Weil Sie ein intelligenter Mensch sind!« Von Rittenbergs Mundwinkel zuckte. »Ihnen würde ohnehin ... außerhalb dieser Krypta ... niemand glauben. Und außerdem«, er streichelte über den Stahl seiner Waffe, die immer noch in Griffweite lag, »bedauere ich es zutiefst ... daß die Arbeit meiner Dienststelle viel zu wenig ... gewürdigt wird ... Denn ohne uns ... gäbe es schon längst keine Kirche mehr.« Er nahm die Pistole in die Hand und spielte am Abzug. »Ohne unser ständiges Bemühen in den letztenJahrhunderten ... alles von der Herde fernzuhalten, das sie in Unruhe versetzen könnte ... gäbe es heute keine Kirche ... und keinen Glauben mehr! Und unser Lohn?« Er lächelte verächtlich, und seine Zähne blitzten. »Ein Leben in Finsternis ... ohne jede Anerkennung für unsere aufopfernde Tätigkeit!«
»Sie sind stolz darauf ... daß Sie die Menschen seit Jahrhunderten belügen?« Pierre war bewußt, daß es gefährlich war, diesen Irren zu reizen, aber ...
»Belügen?« Von Rittenberg kniff die Augen zusammen. Eine unangenehme Pause folgte. »Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, mein junger Freund, daß wir den Menschen ihren Seelenfrieden geben? Wir geben ihnen Sicherheit! Wir geben ihnen eine Version des Glaubens ... die sie auch wirklich verstehen können.« Er zuckte mit den Achseln. »Vielleicht ist diese Version ein wenig zu ... ja ... idealisiert. Mir
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