Seelenbrand (German Edition)
entschuldigen Sie die einfache Ausstattung meines kleinen Domizils.«
»Vermißt Sie da oben in der Pension denn niemand?«
»Nein, ich befinde mich offiziell auf einer kleinen Reise. Wie Sie wissen, handele ich mit Antiquitäten.«
Gütiger Himmel! Wie lange will er uns denn dann noch hier unten festhalten?
Plötzlich eine hektische Bewegung des grauen Zwergs. »Bitte entschuldigen Sie meine Nachlässigkeit!« Er griff nach zwei goldenen Bechern und einer ebensolchen Karaffe, für die man – wenn die Steinchen darauf echt waren – schon einen schönen Rolls-Royce hätte bekommen können. »Wie Sie sehen«, er hatte wohl Pierres Erstaunen bemerkt, »Geld und Gold bedeuten mir überhaupt nichts. Denn überall dort, wo ich tätig bin«, er goß ihnen roten Wein ein, »steht dieser Plunder kistenweise herum.« Er stand auf, reckte sich über seinen Schreibtisch zu Pierre hinüber und reichte ihm mit ausgestrecktem Arm den Becher.
Er ist immer noch auf der Hut . Ohne nachzudenken, setzte sich Pierre den Wein an seine Lippen ... als es ihn plötzlich wie ein Blitz durchfuhr ... und er den Becher sofort wieder sinken ließ.
Von Rittenberg, der sich auf der anderen Seite des Schreibtisches ebenfalls das goldene Gefäß zum Mund geführt hatte – während er Pierre ununterbrochen beobachtete –, hielt ebenfalls inne und nahm keinen Schluck von diesem Wein.
Hatte dieser listige Fuchs überhaupt vorgehabt, davon zu trinken? Oder war dieses Zögern dazu gedacht, ihn zuerst von dem Traubensaft kosten zu lassen? Hier stimmte doch etwas nicht!
Sie belauerten sich gegenseitig, aber niemand trank.
»Sie sind ein kluger Mensch, Monsieur du Lac!« Von Rittenbergs Zähne blitzten, er hatte offensichtlich seine Gedanken gelesen. Er nahm einen Schluck aus seinem Becher und reichte ihn Pierre. »Mißtrauen ist eine der grundlegendsten Voraussetzungen für ein langes Leben. Aber in diesem Fall ...«, jetzt führte er – wie zum Beweis – Pierres Becher zum Mund und trank daraus,»... war Ihre Sorge unbegründet.« Ein leichtes Zucken umspielte seine schmalen Lippen, als er sich Wein nachgoß. »Bei der Gelegenheit möchte ich mich für meinen plumpen Versuch entschuldigen, Sie von der Kirche fernzuhalten. Das war wirklich dilettantisch!«
»Ich weiß nicht, was Sie meinen!« Pierre entspannte sich und nippte an dem Roten. Das konnte hier unten noch länger dauern ...
»Erinnern Sie sich«, von Rittenberg lehnte sich zurück, »als Sie, am ersten Tage Ihres Aufenthaltes hier, die Klinke der Kirchentür berührten?«
»Daran denke ich nur ungern zurück.« Warum soll ich lügen? Das Gespräch scheint die Spannungen auf beiden Seiten abzubauen.
»Bitte sagen Sie mir«, von Rittenberg beugte sich interessiert nach vorn, »was S i e gesehen haben!«
»Wachsendes Moos auf meinen Händen und Armen!« Uah! Er mußte sich jetzt noch schütteln.
»Sehr interessant!« Sein Gegenüber hatte ein kleines Notizbüchlein herausgeholt und schrieb mit. »Entschuldigen Sie meine Neugier«, er sah kurz hoch, »aber das ist gewissermaßen eine Berufskrankheit.«
»Dann haben Sie also etwas mit der Klinke der Kirchentür gemacht?«
»Ja!« Die seltsame Gestalt machte eine abwehrende Handbewegung. »Aber ich gebe zu ... es war ein wahrhaft stümperhafter Versuch. Ich hätte wissen müssen, daß sich ein neuer, junger Pfarrer nicht so schnell verjagen läßt ... wie dieser ungewaschene Olivier und diese anderen neugierigen Narren.« Er kritzelte währenddessen unentwegt in seinem kleinen Büchlein herum. »Ist es nicht interessant«, er blickte für einen Augenblick hoch, »das dieser Extrakt der Alraune bei den Menschen die unterschiedlichsten Visionen auslöst?« Er blätterte emsig einige Seiten zurück. »Hier! Krabbelkäfer, Schlangen ... und hier hat jemand Ratten gesehen. Aber Moos ... hm ... das hatte ich noch nie!«
»Sie beobachten mich also schon seit dem Tag, an dem ich meine Arbeit hier aufgenommen habe?«
»Aber natürlich!« Von Rittenbergs Stimme war etwas versöhnlicher geworden, sogar ein bißchen menschlich.
»Haben Sie etwas mit dem Tod des Aushilfspfarrers zu tun?«
»Gütiger Himmel! Natürlich nicht!« Der fahle Mann in seinem schwarzen Anzug schien fast beleidigt, wie ihn jemand für eine solch rohe Tat überhaupt in Betracht ziehen konnte. »Dieser Narr hat sich aus reiner Neugier in der Grube das Genick gebrochen und einen Geruch verströmt, der meine Arbeit hier unten nicht gerade angenehmer gemacht
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