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Seelenbrand (German Edition)

Seelenbrand (German Edition)

Titel: Seelenbrand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Mickholz
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herumlaufen konnte. Er verlieh seiner Person zwar äußerlich eine unübersehbare Würde und Autorität, aber auf diese Tristesse des ständigen Alleinseins – die ihm das Priesteramt aufbürdete – hätte er gerne verzichtet.
    »Die Lampe ist aus!« Marie platzte rücksichtslos in seine trüben Gedanken. »Da unten ist jemand! Er hat die Laterne ausgemacht!«
    Eiligst stolperte er mit dem dicken Seil in der Hand zum Schacht herüber. »Ich habe die Leuchte doch bis obenhin mit Petroleum gefüllt!«
    »Doch, es stimmt! Sehen Sie selbst! Sie ist aus!« Marie zeigte immer wieder aufgeregt in das schwarze Loch.
    Pierre griff das Seil, das um den Balken geschnürt war, um die Laterne heraufzuziehen. »Mistding! Sie hängt irgendwo fest!« Er versuchte es noch mal und zog kräftiger an der Leine. »Sie rührt sich nicht! Das fängt ja gut an!« Verärgert knotete er das Seil – an dem er sich in die Tiefe herablassen wollte – um den Holzbalken. »Dann muß ich eben die zweite Laterne mitnehmen!«
    »Und was ist mit mir?« protestierte sie. »Soll ich hier etwa im Dunklen sitzen?«
    »Wenn wir heute nacht noch erfahren wollen, was da unten los ist, sollten wir uns allmählich beeilen. Bevor uns jemand vermißt.«
    »Wer sollte mich schon vermissen?« fragte Marie erstaunt zurück.
    »Wer weiß?« Er zuckte mit den Schultern.
    »Meine Tante glaubt, daß ich zu Hause in meinem Atelier bin und schlafe.«
    »Gut, gut!« nickte Pierre zufrieden. »Und mich vermißt sowieso niemand!« fügte er ein wenig traurig hinzu. Er rieb sich die Hände. »Es tut mir leid, aber Sie müssen hier oben einen Moment ohne mich die Stellung halten.«
    »Was? Allein auf dem Friedhof? Im Dunklen?«
    »Da wir keine weitere Laterne haben ...«, er kratzte sich am Kopf, »aber ich kann Ihnen versichern«, aufmunternd sah er sie an, während er sich die verbliebene Lampe mit einem kurzen Strick am Gürtel befestigte, »... daß die hier alle mausetot sind und Sie garantiert nicht belästigen werden.« Er legte seine Handauf ihre Schulter und spürte ein leichtes Zittern. »Glauben Sie mir: Ich weiß wovon ich rede. Ich bin immerhin Pfarrer. Und von denen, die ich beerdigt habe, ist noch niemand zurückgekommen.«
    Noch bevor Marie Anlauf für ein weiteres Aber ... nehmen konnte, saß er schon wieder über dem rabenschwarzen Schacht und ließ das freie Ende des dicken Seils in die Dunkelheit hinunter. »Die paar Meter kann ich mich einfach herabsausen lassen!« So viel Spaß und Nervenkitzel hatte er schon lange nicht mehr gehabt. »Ich bleibe auch wirklich nicht zu lang da unten«, beruhigte er sie und bandagierte sich die Hände mit einigen Stücken aus Leinenlumpen. »Sie machen das schon hier oben!«
    »Aber wenn ...«, weiter kam sie nicht, denn da hatte er sich schon vom Holzbalken geschwungen und glitt mit dem einzigen Licht in die Tiefe.
    »Oh, Sie!« Sie ballte ihre Hand zu einer Faust. »Das werde ich Ihnen nie vergessen!« zischte sie ihm schließlich als letzten Gruß von der Oberfläche in den Schacht hinterher und setzte sich dann eiligst – bevor es um sie stockfinster wurde – selbst auf den Balken, von dem aus sie ihn in der Tiefe verschwinden sehen konnte.
    »Mausetot? Das ist ja wirklich beruhigend!« Sie sah sich angewidert zu allen Seiten um und krallte ihre Nägel in das Holz. Eine vollkommene Schwärze umfing sie, als der letzte Schein der Lampe in der Tiefe verschwand. Es war so rabenschwarz, wie in der finstersten aller Höllen. Sie konnte tatsächlich ihre eigene Hand nicht mehr vor Augen sehen. Tausend Schädel starrten sie aus der Dunkelheit an und unzählige knochige Arme griffen nach ihr. Sie konnte es genau fühlen. Hatte sie da eben jemand über die Haare gestreichelt? »Sie sind mir ja ein schöner Pfarrer!« meckerte sie in den Schacht hinunter, um endlich diese fürchterlich beängstigende Stille zu brechen.
    Aber Pierre hörte sie nicht mehr. Er war viel zu sehr damit beschäftigt, sich am Seil festzuhalten und gleichzeitig daran langsam abwärtszugleiten. Der Schein der Lampe, die an seinem Gürtel hinderlich hin- und herbaumelte, wies ihm den Weg in die Tiefe. Die Wände des kreisrunden Schachtes, der etwa den Durchmesser von einem Meter hatte, waren deutlich mit Werkzeugen bearbeitet worden. Das Loch war also nicht allein durchden riesigen Grabstein in die Erde gerissen worden. Dieser hatte vielmehr nur den Boden der Grube durchschlagen und sie damit eher zufällig auf diesen verborgenen Abgang stoßen

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