Seelenbrand (German Edition)
lassen.
Aha! Er konnte im hellen Schein der Lampe dort unten schon den Boden erkennen. Da über ihm vollkommene Dunkelheit herrschte – zu ärgerlich, daß sie oben am Einstieg keine weitere Laterne mehr zur Verfügung hatten – schätzte er die Gesamttiefe auf knappe zehn Meter.
Jetzt kam ihm auch zum erstenmal der Gedanke, daß er nachher – im Schweiße seines Angesichts – den ganzen Weg wieder nach oben klettern mußte. Vielleicht war es ja auch ein wenig voreilig und leichtsinnig gewesen, sich ohne einen Plan für den Aufstieg hier herabgelassen zu haben ... aber noch ehe er sich weitere Gedanken darüber machen konnte, setzten seine Füße auf dem Boden auf und sanken sofort ein. Der Schlamm quoll augenblicklich von oben in seine Stiefel hinein, ohne daß er es verhindern konnte. Fast panikartig versuchte er sich am Seil wieder in die Höhe zu ziehen, aber der zähe Matsch umklammerte seine Unterschenkel wie die Hände von einem Dutzend Irrsinniger, die ihn in dieser dunklen Hölle festhalten wollten. Oh, nein! Nicht schon wieder! Es gruselte ihn bei dem Gedanken, hier unten wieder in eine solch ausweglose Situation zu geraten wie am Vormittag in der Grube. Hier unten bin ich verloren, wenn ich mir nicht selbst helfen kann!
»Verdammt!« Er kam mit den Füßen einfach nicht wieder aus diesem Sumpf heraus. Schließlich atmete er tief durch und ließ das Seil, an dem sein Leben hing, aus seinen Händen gleiten. Aber zu seiner Erleichterung sank er nicht weiter ein als bis zu den Knien! Schnaufend griff er sich die Laterne an seinem Gürtel und hielt sie in die Höhe, um sich erst einmal anzusehen, in welchem Schlamassel er jetzt schon wieder steckte.
Da war auch das Seil von der anderen Lampe, die sie von oben herabgelassen hatten. Aber die Laterne selbst war weg. Er griff nach der Leine, mit der sie verbunden war, und ruckte daran. Nur mit Mühe ließ sie sich Stück für Stück aus dem Morast ziehen.
»Na sieh mal einer an! Da haben wir ja die Ursache für all die Aufregung!« Er drehte den Docht der Lampe so weit heraus, wie es ging, und alles um ihn herum wurde taghell erleuchtet. Unmittelbarneben seinen vollgelaufenen Stiefeln ragte der Rest des Grabsteins aus dem Schlamm, dem er heute vormittag nur mit viel Glück entgangen war. Bei seinem Aufschlag hier unten hatte er einen derartig tiefen Krater in den Boden gerissen, daß sich ein Teil der ablaufenden Knochenbrühe aus dem Grab in diesem Loch gesammelt hatte und somit für diese schlammige Masse verantwortlich war. Die Lampe, die sie vorhin heruntergelassen hatten, hatte wohl genau auf der Ecke des Grabsteins aufgesetzt, der noch aus dem Modder herausragte und war dann unvermittelt von seinem schiefen Unterbau in die Knochenmatsche gerutscht und verlöscht. Diese Lösung gefiel ihm wesentlich besser als die Vorstellung, daß hier unten jemand herumschlich, der Petroleumlampen ausblies. Angewidert zog er seine Füße aus den Stiefeln, die vollgelaufen und unverrückbar im Morast steckten und versuchte mit seinen vollgesogenen Socken auf den trockenen Boden jenseits dieser Schweinerei zu gelangen.
Während er sich mit aller Kraft bemühte die Stiefel an ihren Schäften herauszuziehen, fiel ihm auf, daß er eigentlich – so dicht wie er jetzt mit seiner Nase über dieser Knochenmasse schwebte – vor lauter Gestank hätte in Ohnmacht fallen müssen. Aber irgendwie ... Er richtete sich auf und schnüffelte. Ein kühler Luftzug umstrich seine Nase und seine Nackenhaare richteten sich fröstelnd auf.
»Frischluft!« murmelte er. »Von irgendwoher kommt also saubere Luft. Dann muß es noch einen Ausgang geben!« Er warf seine triefnassen Stiefel in eine trockene Ecke. »Zu blöd! Die schönen Dinger!« maulte er und hob seine Laterne in die Höhe.
Im Schein der Lampe zeigten sich die rohen, behauenen Wände des kleinen Raums, der nicht größer als zwei mal zwei Meter war. Auf der einen Seite war im unteren Teil einer Wand ein quadratisches Loch. Sauber und präzise in den Fels gemeißelt. Es war gerade so groß, daß sich ein Mensch auf allen Vieren hindurchzwängen konnte. Die Spuren im stellenweise noch nassen Sandboden ließen keinen Zweifel zu, daß die Brühe, die ihn oben in der Grube fast ersäuft hätte, beim Ablaufen im Dunkeln dieses kleinen Durchbruchs verschwunden war. Auf der anderen Seite des engen Raums befanden sich drei aus dem Fels gehauene Stufen, die zu einem mannshohen Durchgang in der Wand führten.
»Autsch!« Vorsichtig
Weitere Kostenlose Bücher