Seelenbrand (German Edition)
bereits morgen bei Ihnen anfängt.«
So! Jetzt war er wirklich mit Volldampf über die Klippe gerauscht! Sein Leben hier war ja schon grausam genug, aber ab morgen würde es wirklich unerträglich! Sein Schicksal schien besiegelt. Au! Verdammt! Da hat sie doch tatsächlich schon wieder zugeboxt! Seine Hand zuckte auf die schmerzende Stelle. Diese Marie war ja noch viel verrückter, als er gedachte hatte.
»Und mein Bischof?« Er wollte gerade seine letzte Karte ausspielen.
»Der wird nichts dagegen haben!« Mit einer herrischen Handbewegung wischte die Vorsitzende seine Bedenken beiseite. »Wir haben eine Person mit tadellosem Ruf und solidem Lebenswandel ausgewählt.«
Darauf möchte ich wetten! Er sah sich die drei Drachen an und suchte sich den häßlichsten und gemeinsten heraus. Bei seinem Glück brachte ihm genau dieser ab morgen jeden Tag das Frühstück.
»Da wir Damen aus dem Komitee ...«
Pierre hörte gar nicht mehr hin. Warum auch? Der Henker schwang gerade seine Axt.
»... keine Zeit für eine derartige Aufgabe haben ...«
Gemeinschaftliches Kopfschütteln.
Bäh! Die da hinten mit der haarigen Warze am Kinn ... jeden Morgen auf nüchternen Magen, bäh, nicht auszudenken ...
»... wird Marie Darmon diese Aufgabe übernehmen.«
Marie Darmon? Pierre schreckte hoch. Dieser Drache da hinten mit der Warze hieß doch nicht Marie Darmon. Die Marie neben ihm konnten sie ja wohl kaum gemeint haben. Oder doch? Da stimmte doch etwas nicht! Das roch doch nach einer hinterlistigen Prüfung ... »Finden Sie es nicht irgendwie unpassend, daß eine unverheiratete, junge Frau, dem Pfarrer des Ortes den Haushalt macht?« Au! Noch bevor sich das Pfarrkomitee mit seiner Frage befassen konnte, hatte Marie ihm mit dem Fuß gegen sein Bein getreten. Die Person neben ihm sah zwar aus wie eine junge Frau, aber das täuschte. Sie schlug und trat wie ein schlechtgelauntes Maultier. Das war ja nicht mehr auszuhalten. Waren denn alle hier verrückt geworden?
Eigentlich wartete er nur darauf, daß die Drachen jetzt Feuer spien, aber alle Anwesenden brachen in schallendes Gelächter aus. Sogar von Rittenberg enthuschte ein heimliches Lächeln. Hatte er gerade etwas Dummes ... oder gar Lustiges gesagt? Also ... die Leute hier waren doch nicht normal! Alles Wahnsinnige!
»Da machen Sie sich mal keine Gedanken, lieber Herr Pfarrer«, die Vorsitzende richtete wieder das Wort an ihn und sah vielsagend in die Runde der Anwesenden. »Ich glaube da im Namen aller zu sprechen!«
Jetzt war er aber gespannt.
»Marie Darmons Verhältnis zu Männern ist uns allen hinreichend bekannt.« Dem Drachen entschlüpfte ein Lachen. »Spätestens seit unserem letzten Sommerfest hier in Rennes, und das war noch unter unserem seligen Pfarrer Saunière«, alle lachten, »hat unsere Marie Darmon ihren untadeligen Ruf öffentlich bestätigen können.« Die Drachen des Pfarrkomitees kicherten und tuschelten. Alle Anwesenden lachten.
Er drehte seinen Kopf zu Marie, die ihn mit ihrem hochroten Gesicht partout nicht ansehen wollte. Sie starrte mit aufeinandergepreßten Lippen stocksteif geradeaus. Die Sache war ihr scheinbar unsagbar peinlich.
»Sie hat unserem Anliegen mit Ihrem Verhalten einen unschätzbaren Dienst erwiesen!« Die Damen applaudierten höflich und nickten Marie lächelnd zu, die immer noch regungslos neben ihm saß und seinen Blicken auswich. Es war ihm zwar absolut rätselhaft, worüber hier geredet wurde, und warum seine Bedenken gegen eine unverheiratete Frau im Pfarrhaus mit Gelächter quittiert wurden, aber so wie es aussah, hatte der Henker seinen Hals mit der Axt gerade noch einmal verfehlt ... und der Drachen mit der Warze am Kinn brachte ihm ab morgen doch nicht das Frühstück.
»Ich glaube«, rief Madame Pauline in die Runde, »jetzt haben wir uns erst mal ein Likörchen verdient!« Zustimmendes Gemurmel, auch aus dem Lager des Pfarrkomitees.
Der alte Abbé Saunière hat mir wirklich eine seltsame Herde überlassen.
Während die Runde immer lauter, und das Geschnatter immer unerträglicher wurde, zog er demonstrativ seine Taschenuhr – sie gehörte einmal seinem Vater – aus seiner Soutane. »Ich danke Ihnen für den gelungenen und interessanten Nachmittag, meine Damen und Herren«, Pierre erhob sich und sah freundlich in die Runde, die ihm wohlwollend zuprostete, »aber ich fürchte, ich habe noch einige Dinge zu erledigen.« Er wußte zwar nicht welche, aber der formelle Teil des Kaffeetrinkens – der seine
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