Seelenbrand (German Edition)
Unkenrufe über das Böse, das andiesem Ort sein Unwesen treiben sollte, so war er sich doch todsicher, daß weder der Teufel noch der spukende Pfarrer Saunière ein Brecheisen benötigt hätten, um hier einzudringen. Auch die Tatsache, daß er eine schwarzgekleidete Person am hellichten Tage auf dem Friedhof herumhuschen sah, war doch kein Beweis für die Anwesenheit des Teufels. Vielleicht war es dasselbe Phantom, das der sabbernde Hund von Marie bis in den Schrank der Kirche verfolgt hatte. Und wer auch immer ihnen den Rückweg aus dem Luftschacht am Friedhof abgeschnitten hatte ... dieser Unbekannte würde bei einem Hieb mit der Schaufel – diese stand nämlich gerade so schön griffbereit an der Hauswand – garantiert einen Haufen blauer Flecken davontragen.
Was nun diesen fürchterlichen Gestank in der Kirche und im Bücherturm anging, und warum überall diese in Stein gemeißelten Warnungen verstreut waren, das war eine ganz andere Sache. Auch das Moos, das ihm den Arm hochgewachsen war, als er die Klinke der Kirchentür berührt hatte, war ein Rätsel, das es noch zu lösen galt.
Aber alles zu seiner Zeit! Diese Schaufel lag wirklich gut in der Hand. Mit ihrer Spitze zog er die Glasflügel langsam los. Sie quietschten grauenhaft. Überhaupt schien hier alles entweder zu knarren oder zu quietschen. Offensichtlich fühlte sich niemand mehr dafür verantwortlich, die Gemäuer vor dem Verfall zu bewahren.
Vorsichtig lugte er durch den Türspalt in die Villa hinein. Der Kronleuchter fiel ihm zuerst auf. Er hing inmitten eines voll eingerichteten Raumes, dem ersten Anschein nach der Bibliothek oder dem großen Aufenthaltsraum. In diesem sollten sich die verdienten Knechte Gottes wohl bei einer Tasse Tee oder Kaffee von der Last ihres kirchlichen Daseins erholen. Das helle Sommerlicht, das durch die geöffnete Terrassentür hereinfloß, beleuchtete eine gespenstische Szenerie. Sämtliche Tische, Stühle und Schränke waren zum Schutz vor Staub und Licht mit weißen Laken abgedeckt. Ein leichter Windhauch ließ den großen Leuchter an der Decke erzittern und entlockte ihm ein feines, hohes Klimpern.
Pierre blieb regungslos an der geöffneten Tür stehen und sah umher, den Stiel der Schaufel fest in seinen Händen. Man konnte ja nie wissen, wer da drinnen herumschlich! Hier der schwere,rote Teppich auf dem Parkett und dort der riesige Kamin mit dem Bild. An Geld schien es dem alten Abbé wirklich nicht gemangelt zu haben. Stünde der Bischof jetzt hier an seiner Stelle, er hätte bereits an der Tür vor lauter Neid einen Schlag bekommen. In den Vitrinen und Wandschränken konnte er von weitem – soweit sie nicht mit Tüchern abgedeckt waren – zahllose Vasen und Figuren aus Porzellan erkennen. In den Regalen und Schränken, die offenbar für Bücher vorgesehen waren, herrschte allerdings staubige Leere. Dafür, daß das Gemäuer schon seit über einem Jahrzehnt in tiefem Schlaf lag, machte der Saal zwar einen muffigen, aber doch gepflegten Eindruck. Vielleicht kam Madame Pauline ab und zu mit dem Staubwedel vorbei?
Ich werde sie bei Gelegenheit fragen. Marie wird sich freuen, wenn ich ihr morgen – natürlich nur, um sie zu ärgern – eröffne, daß das Staubwischen in der Villa ab sofort auch noch zu ihren Aufgaben gehört! Er konnte sie jetzt schon fauchen hören, und da er heute erfahren hatte, daß sie mit ihren Fäusten genauso locker umging wie mit ihrem Mundwerk – man mußte sie eben nur genug reizen – da freute er sich doch schon jetzt auf ein abwechselungsreiches Frühstück.
Langsam schritt er an den weißen Laken vorbei, die Schaufel immer fest im Griff für den Fall, daß das Phantom unter einem der Abdecktücher lauerte. Er betrat den schachbrettartig gefliesten Flur, der im dämmrigen Licht schlummerte.
Ah! Hier ist wohl die hochherrschaftliche Küche! Sie war viel größer als die im Pfarrhaus. Kessel, Pfannen, Töpfe, alles hing griffbereit an der Wand, war aber wohl noch nie benutzt worden. Ein regelrechtes Geisterhaus!
Er zog den Kopf zurück in den Flur. Kein Geräusch und keine Regung sollte ihm in diesem Gemäuer entgehen. Die übrigen Türen, die vom Flur abgingen, standen offen und gehörten zu kleineren Räumen – zu Lese- oder Rauchzimmern –, die komfortabel möbliert waren. Gut, daß ihn niemand sah, wie er jeden Winkel der Zimmer neugierig in Augenschein nahm. Der Umstand, daß hier jemand hinter seinem Rücken herumschlich, zerrte an seinen Nerven und trübte ein wenig
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