Seelenbrand (German Edition)
Pfarrhaus.
»Sagen Sie ...«, fragte Pierre, gerade als er den Deckel auf den Tiegel drehen wollte und vorher noch kurz an der Salbe gerochen hatte, »... nur so aus Interesse: was ist das eigentlich für ein Zeug?«
»Zeug?« wiederholte Bruder Severin empört und nahm daskleine Gefäß rasch wieder in seine Obhut, um es in seinen Händen zu wiegen. »Dieses ist ein Extrakt von größter Kraft. Ich verordne ihn bei Krämpfen in den Eingeweiden. Ein Aufguß wirkt wahre Wunder!«
Hokuspokus! Hab’ ich mir doch gedacht!
»Außerdem ...«, Pierre wollte Bruder Severin gerade die Hand reichen, um sich zu verabschieden, »... stillt dieses kleine Pflänzchen Schwermut und Liebesgram.« Er wurde rot. »Natürlich nur bei denen, die nicht unser Gelübde abgelegt haben.«
Pierre hatte den zerzausten Bruder wohl derartig ungläubig angesehen, daß sich dieser nochmals genötigt sah, sein Kräuterlein in Schutz zu nehmen.
»Sie glauben mir wohl nicht, Abbé?«
»Also, wenn Sie mich so fragen ...«, er wollte sich jetzt irgendwie um eine klare Antwort herumdrücken, »... ich habe in meinem Amt ja schon eine Menge gesehen, aber ...«
»Warten Sie einen Moment!« Severin drehte sich um und hastete kurz zu seiner Hexenküche hinüber. Zurück kam er mit einem kleinen Holzspatel. »Geben Sie mir Ihre Hand! Ich werde es Ihnen beweisen!«
Na ja, auf ein paar Minuten kommt es jetzt auch nicht mehr an. Er setzte sich wieder auf den Stuhl und streckte dem Bruder seine Hand entgegen, der ihm sofort einen kleinen Klecks seiner Salbe mit dem Spatel auf die Handfläche strich. Eifriges Nicken. Er war wohl jetzt in seinem Element.
»Es verwirrt die Sinne!« flüsterte er.
Natürlich! Er konnte es kaum erwarten. Aber er wollte dem armen Kerl seinen Spaß gönnen. Immerhin hatte er ihn auf die Spur mit der Ruine gebracht.
Sorgsam verteilte der Kräuterbruder die Masse in seiner Hand. »Um die Wirkung zu verstärken, müssen Sie eine Faust machen. Die Wärme Ihres Körpers tut dann das ihrige.«
Die Regenschauer peitschten gerade wieder besonders heftig auf das Dach. Severin stand regungslos vor ihm und beäugte ihn unaufhörlich.
»Kannten Sie Abbé Saunière, den alten Pfarrer von Rennes?« Wenn er schon tatenlos hier herumsitzen mußte, dann konnte er die Zeit wenigstens noch dazu nutzen, einige Sachen in Erfahrung zu bringen.
»Ja!« Der Kräuterbruder nickte traurig und setzte sich auf den zweiten Stuhl, der nur eine Armlänge entfernt stand, ließ Pierre aber währenddessen nicht aus den Augen.
Bum! Bum! Bum! Das Höllenschiff in den Wolken schoß wieder aus allen Rohren.
»Er war ein guter Freund, bevor das alles hier passiert ist.«
Langes Schweigen.
Woher kam eigentlich dieses dicke Ding auf der Nase seines Gegenübers. Eine Warze? Sie war ihm vorhin noch gar nicht aufgefallen. In seiner Hand wurde es schon merklich wärmer.
»Und? Spüren Sie etwas?«
Pierre schüttelte den Kopf. »Nein!« Er erhob sich und ging langsam zum Kamin herüber, an dem dieses Kreuz seine Silhouette hinterlassen hatte. »Was ist hier passiert, Bruder Severin?« Er betrachtete gedankenversunken die geschwärzte Stelle und wischte sich eine Schweißperle von der Stirn, während der Kräuterbruder hinter seinem Rücken nervös auf dem Stuhl hin- und herrutschte.
Was brummt denn da? Oder ist es ein Rauschen?
»Es waren die Dokumente!«
Die massigen Steinwände des Hauses bebten, als die fremde, donnernde Stimme Pierre vor lauter Entsetzen herumfahren ließ. Severin stand eine Armlänge hinter ihm, aber ... ihm stockte der Atem. Was ist denn das für ein Gesicht? Nein, bah, das ist überhaupt kein Gesicht mehr! Das ist eine Fratze! Ihm blieb fast das Herz stehen, als er diese fremde Kreatur mit ihren Klauen vor sich stehen sah. Schwächelnd taumelte er rückwärts gegen das Kaminsims. Er versuchte zu sprechen, aber es ging nicht. Seine Kehle wurde von eisernen Klammern zusammengedrückt. Aber diese Kreatur vor mir ist doch nicht Bruder Severin!
Er wollte schreien, aber kein Laut verließ seinen Mund. Der Schweiß brannte in seinen Augen, und der grauenhafte Anblick dieser Gestalt raubte ihm die Sinne. Sie trug die gleiche zerlumpte, braune Kutte wie der Bruder, aber – er mußte japsen – das Wesen war grün! Diese Person war grün! Wie eine Eidechse am Wegesrand! Mit fürchterlichen Blasen und Warzen im Gesicht und an den Klauen, aus denen bedrohliche Krallen wuchsen. Ja! Er konnte sehen, wie sie wuchsen!
Hoffentlich würde er
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