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Seelenbrand (German Edition)

Seelenbrand (German Edition)

Titel: Seelenbrand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Mickholz
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als störe ihn dieser Tumult nicht weiter und wickelte, nachdem er sich zuvor mit einem kurzen Blick über beide Schultern vergewissert hatte, daß er jetzt in Sicherheit war, das Grünzeug aus dem Papier. Severin hatte die meckernden Taschendiebe bereits in die andere Ecke des Raumes geschleift und hielt ihnen schimpfend einen Vortrag. Bevor er sich seinem Gast wieder zuwandte, drohte er den Tieren schnell noch mit dem erhobenen Zeigefinger.
    »Also ... was halten Sie hiervon, Bruder?« rief Pierre, woraufdie zerlumpte Gestalt eifrig und schnellen Schrittes herüberkam, ihm das Pflänzchen sofort aus der Hand nahm und es kurz in die Luft hielt.
    »Mandragora officinarum! Ein wunderschönes Exemplar! Wo haben Sie es gefunden?«
    »Mandra... wie?«
    »Mandragora officinarum!« wiederholte er langsam, und seine Augen leuchteten. Der Bruder war derartig begeistert von diesem kleinen Ding, daß er immer noch nicht begriffen hatte, daß Pierre ihm nicht ganz folgen konnte.
    Noch bevor er diesen nervösen Menschen darauf hinweisen konnte, daß die Kräuterkunde nicht gerade zu seinen Stärken zählte – Stärken? Er hatte überhaupt keine Ahnung davon! – hastete Severin mit den wehenden Lumpen am Leib durch den Raum – das Zweiglein immer noch zwischen den Fingern. An der Rückwand des Hauses zog er einen schweren, dunklen Vorhang zur Seite, der Pierre vorher noch gar nicht aufgefallen war. Dahinter kam aber nicht, wie erwartet, eine Steinwand zum Vorschein, sondern ein weiterer Raum, von dessen Decke eine Unmenge Grünzeug hing. Die Regale waren über und über mit Tiegeln, Krügen und gläsernen Gefäßen vollgepackt. Mann! Welch ein Durcheinander!
    »Warten Sie, ich werde Ihnen etwas zeigen!« Severin war regelrecht verzückt, als er das hölzerne Gatter öffnete, das hinter dem Vorhang zum Vorschein kam, und das seine verfressenen Vierbeiner wohl davon abhalten sollte, seine Kräuterküche zu plündern. Die Laterne, die dort zwischen den diversen Glasgefäßen und Geräten auf dem überfüllten Tisch stand, brannte hell vor sich hin. Der seltsame Bruder hatte offensichtlich – als er draußen geklopft hatte – eiligst seine Hexenküche verlassen, ohne dort das Licht zu löschen. Er hatte sich vorhin wohl nur noch die Zeit genommen, den schweren Vorhang wieder zuzuziehen, um seine Geheimnisse vor neugierigen Augen zu verbergen.
    »Einen Augenblick, ich hab’s gleich!« Wie wild klapperte und schepperte es aus seiner Kräuterküche. Der Raum dort hinten war bestimmt der ehemalige Viehstall des Hauses. Hektisch lief der Bruder suchend an seinen langen Regalen vorbei. »He, ihr da!« rief er plötzlich und riß die Hände hoch. »Raus hier!« Erhatte vergessen das Gatter zu schließen und konnte gerade noch verhindern, daß seine verfressenen Gäste auf die Tische sprangen, um ihre Hälse nach dem aufgehängten Grünzeug zu recken. Es folgte wieder ein wildes Durcheinander aus Gemecker, Geschiebe und Geschimpfe. Das dauert hier wohl noch ein bißchen länger, dachte Pierre. Amüsiert betrachtete er sich das Handgemenge am Gatter.
    Severin hatte schließlich die Oberhand gewonnen und die lästige Meute wieder ausgesperrt. Er kroch auf allen Vieren unter dem Tisch mit den vielen Geräten herum. Das gab Pierre ausreichend Zeit sich umzusehen.
    Donner auf Donner rollte über sie hinweg.
    Ob Becher oder Teller, Löffel oder Schüssel, alles war aus Holz gefertigt. Ein verrußter Kessel hing über dem Feuer, das wohlig im Kamin knackte. Dagegen ist mein Pfarrhaus ja die reinste Luxusherberge. Er erhob sich von seinem Stuhl, um sich ein wenig am Feuer zu wärmen. Die nassen Sachen klebten an seinem Körper. Was aber diese Hexenküche da hinten anging, er trat bis an das verschlossene Gatter heran und sah hinein, da hatte er den nervösen Bruder unterschätzt, der immer noch nach etwas suchte.
    »Ah! Hier! Ich hab’s doch gewußt!«
    Als Pierre sich langsam zum Kamin zurückbewegte, fiel ihm eine geschwärzte Stelle oberhalb des Feuers auf. Während sich Severin wieder an seinem Gatter zu schaffen machte, betrachtete er noch schnell diesen schwarzen Flecken, dessen Silhouette aussah ... wie ... ja ... wie ein Kreuz. Hier mußte über viele Jahre ein Kruzifix gehangen haben, das – wie in einer Räucherkammer – von den Schwaden aus dem Kamin umspielt worden war, und das so diese Spuren an der Wand hinterlassen hatte. Aber warum hatte er es weggenommen?
    »Sehen Sie, ich wußte doch, daß ich sie noch irgendwo habe!«

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