Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seelenfeuer

Seelenfeuer

Titel: Seelenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
Vom Netzwerk:
freundlich. »Er gehört dir.«
    Selene nahm ihn und griff nach dem Kasten aus Ebenholz und Elfenbein, den sie immer bei sich hatte. Sie hob den Deckel, legte den Stein hinein, schloß den Kasten und sah wieder mit großen, ernsten Augen ins Feuer.
    Ignatius hatte sich mit dem Mädchen und ihrer kranken Mutter angefreundet, während die Karawane in langen Windungen die Hänge der libanesischen Berge hinuntergezogen war. Als eine Woche nach dem Aufbruch aus Antiochien ihre mageren Vorräte an Brot und Käse zu Ende gegangen waren, hatte Ignatius, ein alter römischer Rechtsgelehrter, der sich von seinen Geschäften zurückgezogen hatte und nun auf der Reise zu seinem Sohn und seiner Schwiegertochter war, es übernommen, für die beiden Frauen zu sorgen. Jeden Abend, wenn die Reisenden an der Straße ihr Lager aufschlugen, schichtete Ignatius aus seinen Vorräten an Holzkohle einen kleinen Scheiterhaufen auf und entzündete ihn mit dem durchsichtigen Stein, der, wenn man ihn so über die Holzkohle hielt, daß er die Strahlen der untergehenden Sonne auffing, auf wunderbare Weise die Flamme für das Kochfeuer hervorbrachte.
    Während sich die Sonne langsam zum westlichen Horizont senkte, leuchteten überall in dem riesigen Lager der Karawane, die von tausend Kamelen begleitet wurde, Feuer auf. Sie befanden sich in einer unwirtlichen und rauhen Gegend; nachdem der Zug die grünen Berge hinter sich gelassen hatte, führte sein Weg durch flaches Steppengebiet, eine dürre Landschaft, nur von Hartgräsern und verholzten Stauden bewachsen, Wohngebiet eines Nomadenvolkes, der Beduinen. Palmyra erhob sich am Ostrand dieses wüsten Landstrichs, und jenseits der Oase, weit nach Osten und südwärts bis nach Arabien hinein, erstreckte sich die syrische Wüste, leer und unbewohnt. Und jenseits davon lag die alte Stadt Magna, über die die Königin Lasha herrschte.
    Viele andere Karawanen waren auf der Straße unterwegs, mit Menschen aus Ländern, von denen man nie gehört hatte. In Schiffen waren sie vom Persischen Golf kommend den Euphrat hinaufgefahren, waren dann durch Magna gezogen und weiter durch die Wüste nach Westen – Karawanen aus China, die Seide, Jade und Gewürze mit sich brachten; Karawanen von den Mittelmeerländern mit purpurgefärbter Wolle und syrischem Glas. Und auch arabische Karawanen zogen diese Straße; sie kamen aus Süden herauf, aus Mekka, wo die Göttin Allat durch einen Sichelmond dargestellt wurde, und die Frauen vom Scheitel bis zu den Füßen in schwarze Gewänder gehüllt waren, die nur einen Schlitz für die Augen hatten.
    »Ich habe uns Fisch gekauft«, sagte Ignatius. »Sehr gute Stücke«, fügte er in der Hoffnung hinzu, Selene damit zum Essen reizen zu können. »Ich bin ein alter Mann und kann mich von alten Gewohnheiten nicht mehr trennen.« Er lächelte. »Heute ist der Tag der Venus, der letzte Tag der Woche. In Rom ehren wir die Göttin, indem wir an diesem Tag nur Fisch essen. Es ist ein sehr alter Brauch, und ich halte viel von alten Bräuchen.«
    Selene antwortete nicht. Das Herz war ihr zu schwer. Sie verstand nicht, warum Andreas nicht kam; warum er die Karawane noch immer nicht eingeholt hatte. Zwei Wochen waren seit dem Aufbruch in Antiochien vergangen. Unablässig hatte sie nach ihm Ausschau gehalten, voller Sehnsucht und voller Sorge. Sie fühlte sich so matt und teilnahmslos, als hätte ihre Seele eine tödliche Wunde empfangen. Es gab keine Salben und keine Tinkturen, die ihr Elend heilen konnten; nur Andreas konnte das, mit seiner Berührung, seinem Lächeln, seiner Liebe. Selene sah sein Gesicht in den Flammen des Lagerfeuers – bald würde er kommen und sie holen.
    Es ging ihnen nicht gut. Sie hatten kein Geld. Ihre Mutter hatte zu Beginn der Reise eine Gebühr bezahlt, die ihnen das Anrecht auf einen Esel und Wasserrechte in allen Oasen gesichert hatte. Doch als ihre Vorräte schon wenige Tage nach dem Aufbruch aufgezehrt waren, hatte Selene von Mitreisenden kaufen müssen, die unerhört hohe Preise verlangten. Hin und wieder konnte sie als Lohn ihre medizinischen Hilfeleistungen einsetzen, so im Fall einer jungen Syrerin, die vorzeitig in die Wehen gekommen war. Selene hatte zur Verhinderung einer Frühgeburt während der Reise stündlich einen Becher Wein verschrieben, und das Mittel hatte zum Erstaunen aller gewirkt – die Wehen hatten aufgehört. Der dankbare Ehemann hatte Selene Brot und Fisch für drei Tage gegeben. Aber auch davon war inzwischen nichts mehr

Weitere Kostenlose Bücher