Seelenfeuer
übrig.
Selene wandte sich vom Feuer weg und sah auf die schlafende Mera. Ihrer Mutter ging es von Tag zu Tag schlechter. Sie hatte seit zwei Tagen nichts mehr gegessen. Eine schreckliche Angst stieg in Selene auf, während sie sie stumm betrachtete. Ich werde sie verlieren, dachte sie. Meine Mutter wird hier in dieser furchtbaren Wüste sterben.
Andreas, Andreas! Habe ich auch dich verloren?
Selene blickte den Weg zurück, den sie gekommen waren. Schon senkte sich die Dunkelheit über die Wüstenstraße. – Sie starrte so angespannt ins Zwielicht, als könne sie damit das Bild eines einsamen Reiters heraufbeschwören, der im fliegenden Galopp dem Lager entgegenjagte.
Eine Hand berührte ihren Arm. Als sie sich umdrehte, sah sie in die gütigen Augen des alten Ignatius. Er glaubte zu wissen, was sie bedrückte. Auch ihm war der körperliche Verfall ihrer Mutter nicht entgangen.
Ignatius war ein teilnahmsvoller und großzügiger Mensch. Er hatte Selene und Mera in seine eigene kleine Reisegesellschaft, die aus zwölf Sklaven und acht Kamelen bestand, aufgenommen und sich zu ihrem Beschützer gemacht. Ignatius wußte nach vielen Reisen nur zu gut, wie gefährdet Frauen waren, die es wagten, allein zu reisen.
»Ich habe Angst, Ignatius«, bekannte Selene endlich mit gepreßter Stimme. »Der Mond ist im Abnehmen. Das ist die Zeit, in der die Kranken und Alten am ehesten sterben. Ich habe Angst, daß meine Mutter gar nicht mehr bis Palmyra kommt. Ich glaube, sie kann die Reise morgen gar nicht fortsetzen. Wir müssen bleiben und eine Rast einlegen.«
Ignatius nickte ernst. Auch ihm war dieser Gedanke schon gekommen.
»Nun gut«, sagte er und legte seinen Fisch aus der Hand. »Ich glaube, es ist an der Zeit, daß ich mit dem Karawanenführer spreche. Ich werde sehen, daß er euch ein Kamel, Begleitschutz und Wasser zur Verfügung stellt.«
»Glaubst du denn, das wird er tun?«
Ignatius stand lächelnd auf. »Der Mann ist so vorhersehbar in seinem Handeln wie ein Baum in seinem Wachstum.«
Selene sah ihm zweifelnd nach, während er zwischen Lagerfeuern und Zelten hindurch nach vorn ging. Sie hatte den Karawanenführer nur wenige Male flüchtig gesehen, aber sie hatte nicht den Eindruck gewonnen, daß er ein großherziger Mann war.
Sehr schnell war Ignatius zurück. Er hockte sich wieder auf seinen Schemel und nahm den hölzernen Reisebecher – auf Reisen verbarg man seinen Wohlstand und zeigte nur ärmliche Besitztümer. »Ich verfluche dieses Zeitalter und die Männer, die es gemacht haben«, brummte er, vergoß zuerst etwas Wein für die Wüstengötter und trank dann den Rest selber.
»Ignatius, was –«
»Ich habe ihn nur gebeten, euch eine Marke zu geben, damit ihr die Wasserrechte ausüben könnt, wenn ihr in die Oasen kommt. Schließlich habt ihr für sie bezahlt, und der Vertrag ist bindend.«
»Aber er will sich nicht daran halten?«
»Der Mann ist ein gemeiner Geizhals.«
»Was soll ich tun?« Selene war verzweifelt. »Meine Mutter kann nicht weiterreisen. Sie braucht eine Rast.«
»Sei ruhig, Kind.« Ignatius, dem es leid tat, sie geängstigt zu haben, streichelte ihr besänftigend den Arm. »So schlimm ist es ja nicht. Wir sind nur zwei Tagereisen von der Stadt entfernt. Auf der Straße ist viel Verkehr. Ihr werdet niemals allein sein.«
»Trotzdem macht es mir angst.«
»Du brauchst keine Angst zu haben. Diese Straße ist sicher. Die berittenen Bogenschützen der palmyrenischen Wüstenpolizei werden von allen Banditen gefürchtet.« Ignatius lehnte sich zurück und betrachtete Selene, deren bleiches Gesicht von der Glut des Feuers beleuchtet wurde. »Mach dir keine Sorgen, Kind«, sagte er leise und legte seine Hand auf die ihre. »Ich bleibe bei euch. Ich kümmere mich um dich und deine Mutter.«
14
Obwohl sie die Tochter der Göttin war und als diese vorgeblich über unbegrenzte Macht verfügte, fühlte sich Königin Lasha in diesem Augenblick ohnmächtig. Sie kniete am Lager ihres fiebernden Sohnes und konnte nichts tun, um ihn der Krankheit zu entreißen.
Ärzte und Höflinge drängten sich nervös und ängstlich im Hintergrund des Raumes. Sie hatten jedes Mittel versucht, um das Fieber des Prinzen herunterzudrücken, aber keines hatte gewirkt. Der Zorn der Königin war so heiß wie der Körper ihres kranken Sohnes.
Sie hob den Kopf und richtete ein starres Auge auf die Ärzte.
»Wo ist Kazlah?« fragte sie.
Die Ärzte sahen einander an. »Er ist im Tempel, Königin.«
Sie
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