Seelengesaenge
um jedermanns volle Aufmerksamkeit zu sichern.
»Gegenwärtig befinden sich lediglich drei Besessene im Habitat auf freiem Fuß«, wandte er sich an seine Zuhörer. »Das gibt zwar sicherlich Anlaß zur Sorge, andererseits bedeutet es noch keine ernste Gefahr. Ich habe die Polizei mit schwerkalibrigen Waffen ausgestattet, die geeignet sind, die energistischen Fähigkeiten der Besessenen zu überwinden. Und wenn die Umstände es erforderlich machen, dann besitzen zahlreiche Bewohner Erfahrungen, die sich im Falle einer Konfrontation als nützlich erweisen.« Ein ironisches, wissendes Lächeln spielte um seine Lippen, das bei vielen Zuschauern ein anerkennendes Grinsen hervorlockte. »Allerdings bedeutet die Fähigkeit der Besessenen, ihre Gestalt zu verändern, daß ich Schwierigkeiten habe, sie innerhalb Valisks aufzuspüren. Ich bitte Sie deshalb alle, nach ihnen Ausschau zu halten und mich unverzüglich zu informieren. Vertrauen Sie niemandem, nur weil er aussieht wie immer; diese Bastarde sind imstande, sich als Freunde oder Bekannte von Ihnen zu maskieren. Ein Effekt, auf den Sie achten sollten, ist die Art und Weise, wie die Besessenen elektronische Ausrüstung stören. Falls einer Ihrer Prozessoren unter unerklärlichen Abstürzen leidet, informieren Sie mich auf der Stelle. Ich setze eine Belohnung von einer halben Million Fuseodollars aus für Hinweise, die zur Eliminierung der Besessenen führen. Fröhliches Jagen.«
»Danke sehr, Großer Bruder.« Ross Nash hob sein Bierglas in Richtung des Holoschirms über dem Tresen der Tacoul-Taverne. Er wandte den Blick von dem durch starke Interferenzen gestörten Bild Rubras ab und grinste Kiera zu. Sie saß in einer der Nischen und unterhielt sich leise und angeregt mit dem kleinen Kader, den sie aufgebaut hatte: Ihre Lieutenants, wie die anderen scherzten. Ross war ein wenig sauer, daß sie ihn in letzter Zeit nicht mehr in die Beratungen mit einbezogen hatte. Schön, er hatte kein besonderes technisches Wissen, und dieses Habitat war ein echter Trip in die Future World für jemanden, der 1940 zur Welt gekommen war (und 1989 gestorben – an Darmkrebs). Ständig erwartete er, daß Yul Brynner in seinem schwarzen Lederoutfit mit den beiden schweren Revolvern an den Hüften um die Ecke trat. Verdammt, seine Meinung zählte schließlich trotzdem irgendwas. Mit ihm geschlafen hatte sie auch seit Tagen nicht mehr.
Er blickte sich in der schwarz-silbernen Taverne um und widerstand dem Impuls zu lachen. Es herrschte mehr Betrieb als seit Jahren. Zum Leidwesen des Besitzers zahlte niemand mehr für sein Essen und Trinken. Nicht diese spezielle Kundschaft hier. Tartaren und Cyberpunks, einträchtig beisammen mit römischen Legionären, Bikern in dicken Lederklamotten und Ausschuß aus den Labors des guten alten Dr. Frankenstein. Musik plärrte aus einer wunderbaren 50er Wurlitzer, und eine Schar von Seraphim bewegte sich im Takt über den von unten mit Neon angestrahlten Boden. Es war die reinste Reizüberflutung nach den Entbehrungen des Jenseits’, Nahrung für den Geist. Ross grinste seinen neuen Kumpanen gewinnend zu, die sich am Tresen drängten. Dort stand der arme alte Dariat, der ebenfalls nicht zu Kieras Lieutenants gehörte und sich deswegen ziemlich ärgerte. Abraham Canaan in seinem Priestergewand blickte mürrisch auf die zur Schau gestellten Ausschweifungen ringsum. Eins muß man uns Besessenen lassen, dachte Ross fröhlich. Wir wissen, wie man feiert. Und hier in der Tacoul-Taverne konnten sie es vollkommen ungestört und sicher; die Affinitätsbegabten unter ihnen hatten den Laden in eine Enklave verwandelt und die Subroutinen völlig überarbeitet, die im neuralen Stratum hinter der Polypwand saßen.
Er stürzte den Rest seines Glases hinunter, dann hielt er es vor die Augen und wünschte, daß es wieder voll wäre. Die Flüssigkeit, die daraufhin im Glas materialisierte, sah aus wie Mückenpisse. Er starrte mit gerunzelter Stirn auf das Glas; es war gar nicht so leicht, derart viele Gesichtsmuskeln zu koordinieren. In den letzten fünf Stunden hatte er mit Entzücken zur Kenntnis genommen, daß ein besessener Körper noch lange nicht hieß, daß man sich nicht mehr bis zum Stehkragen betrinken konnte, doch jetzt schien es, als hätte die Sache auch ihre Nachteile. Er kippte das Glas über die Schulter. Draußen im Vestibül hatte er Läden gesehen; ganz bestimmt hatte der eine oder andere ein paar gute Flaschen auf Lager.
Rubra wußte, daß
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