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Seelengesaenge

Seelengesaenge

Titel: Seelengesaenge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter F. Hamilton
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und flache Oberflächen zu Säulen, Bögen und Statuen kräuselte. Ein Plethora aus Enklaven der verschiedensten Epochen war entstanden, angefangen bei den New Yorker Avenuen der 1950er bis hin zu zeitlosen weißgetünchten mediterranen Villen, russischen Datschas und traditionellen japanischen Häusern.
    Die Reporter zeichneten alles so getreu auf, wie es mit ihren fehlerhaft arbeitenden nanonischen Speicherzellen nur möglich war. An diesem Morgen jedoch war alles anders. Sie waren alle zusammen aus ihren Zimmern gerufen und in Busse verfrachtet worden. Dann hatte man sie zu dem fünf Kilometer entfernten Rathaus gefahren. Sie wurden von Gangstern aus den Bussen geholt und auf den Bürgersteig eskortiert, wo sie sich in einer langen Reihe zwischen der Fahrbahn und dem kunstvollen gewölbten Eingang des Wolkenkratzers aufstellen mußten. Auf Patricias Befehl hin wichen die Gangster mehrere Schritte zurück und überließen die Reporter sich selbst.
    Gus Remar stellte fest, daß seine neurale Nanonik wieder arbeitete, und begann unverzüglich mit einer vollen Sens-O-Vis-Aufzeichnung. Per Datavis befahl er seinem Flek-Recorder, gleichzeitig eine Sicherungskopie herzustellen. Es war lange her, daß er selbst vor Ort über eine Story berichtet hatte; heutzutage arbeitete er als Herausgeber im Stadtbüro von Time Universe. Doch die alte Kunstfertigkeit war noch immer da. Er drehte sich um die eigene Achse und nahm die Umgebung in sich auf.
    Auf der Straße waren keine Fahrzeuge unterwegs, doch die Bürgersteige waren von Menschen gesäumt. Sie standen in gestaffelten Reihen an der Barriere. Remar stellte fest, daß die Reihen sich drei Häuserblocks zur Rechten und Linken hinzogen. Die Besessenen waren in der Mehrheit, leicht zu erkennen an ihrer Kleidung, die den jeweiligen Epochen entsprach und teils schrill, teils einfallslos war. Sie hatten sich einigermaßen zwanglos unter die Nicht-Besessenen gemischt.
    Ein leichter Tumult zweihundert Meter entfernt im Hintergrund der Menge erweckte Gus’s Aufmerksamkeit. Er richtete seine Retinaimplantate auf das Gewühl und zoomte es heran.
    Zwei Männer schubsten sich gegenseitig mit vor Zorn hochroten Gesichtern. Einer war ein dunkelhäutiger, gutaussehender junger Bursche, kaum Zwanzig mit perfekt geschnittenem schwarzem Haar, gekleidet in eine Lederjacke und eine Lederhose. Er hatte eine akustische Gitarre über den Rücken geschlungen. Der andere Mann war älter, in den Vierzigern, und um ein Beträchtliches dicker. Sein Aufzug war das Bizarrste, was Gus jemals gesehen hatte: Eine Art weißer Anzug, bestickt mit einer Unmenge aus glitzernden Kristallen, mit einer Hose, deren Aufschlag mehr als dreißig Zentimeter weit ausgestellt war, und einem Kragen, dessen Spitzen aussahen wie kleine Flugzeugflügel. Riesige gelbe Brillengläser bedeckten mehr als ein Drittel seines aufgedunsenen Gesichts. Wären nicht die Umstände gewesen, hätte Gus gesagt, daß es ein Vater war, der sich mit seinem Sohn stritt. Er schaltete seine Audiofilter in den Primärmodus.
    »Das ist eine gottverdammte Fälschung!« rief der junge Mann mit einem breiten Südstaatenakzent. »So habe ich niemals ausgesehen!« Seine Hände fuhren abschätzig über die Front des weißen Anzugs und rissen hier und da am Stoff. »Du bist das, in was sie mich gepreßt haben! Nichts als eine kranke Mißgeburt, aufgekocht von den Plattenfirmen, um Geld zu machen! Ich würde niemals zurückkommen und aussehen wie du!«
    Der dickere Mann schob ihn von sich weg. »Wen nennst du hier Fälschung, Sohn? Ich bin der King. Der einzige und echte!«
    Das Geschubse wurde mit vergrößerter Wucht fortgesetzt. Beide Männer bemühten sich, den anderen zu Boden zu stoßen. Die gelbe Sonnenbrille segelte davon. Gangster der Organisation eilten herbei, um die beiden Streithähne zu trennen, doch nicht, bevor der jüngere Elvis die Gitarre vom Rücken gerissen hatte, um sie der Las-Vegas-Version über den Schädel zu schlagen.
    Gus sah nicht, was bei der Auseinandersetzung herauskam. Die Menge fing an zu jubeln. Auf der Straße war ein Konvoi aufgetaucht. Zuerst erschien eine Eskorte aus Polizeimotorrädern (nach Gus’s enzyklopädischer Nanonikdatei waren es alte Harley-Davidsons), zehn Stück mit blitzenden roten und weißen Lichtern. Eine riesige Limousine folgte mit wenig mehr als Schrittgeschwindigkeit: ein 1920er Cadillac Sedan, ein absurd massiges Fahrzeug mit gewaltigen Reifen, die sich unter der Last der Panzerung wölbten.

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