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Seelengesaenge

Seelengesaenge

Titel: Seelengesaenge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter F. Hamilton
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Laserlicht. Jedesmal, wenn Jeds Augen zufällig in Richtung des Projektors schweiften, schwirrten Unmengen runder, chromblitzender Schachbretter durch seinen Kopf. Die beiden jüngeren Mädchen brüllten lautstark Befehle in den Block, und kleine Figuren sprangen in strategischen Formationen zwischen den zahlreichen Kugeln hin und her, begleitet von einer baßlastigen, aufrührenden Musik. Der verdammte Projektor war viel zu groß für einen so kleinen Raum.
    »Kommt schon, Kinder!« heulte Gari auf. »Ich muß diesen Stoff für meine nächste Prüfung lernen!«
    »Dann tu’s doch!« giftete Navar zurück.
    »Ziege!«
    »Dumme Kuh!«
    »Aufhören! Ihr habt dieses Spiel gestern den ganzen Tag gespielt!«
    »Und wir sind noch nicht fertig. Wenn du nicht so dämlich wärst, wüßtest du es.«
    Gari warf ihrem älteren Bruder einen flehentlichen Blick zu, und ihr pausbäckiges Gesicht bebte am Rand der Tränen.
    Miri und Navar waren Diggers Töchter (aber von anderen Müttern), und wenn Gari auch nur einen Finger hob, würde Digger sie schlagen. Das hatte sie vor Monaten schmerzlich herausgefunden. Die beiden wußten es ebenfalls, und sie nutzten es mit taktischem Geschick aus.
    »Komm, Gari«, sagte Jed, »wir gehen runter in den Tagesclub.«
    Miri und Navar lachten gehässig, als Gari ihren Prozessorblock abschaltete und sie wütend anstarrte. Jed stieß die Wohnungstür auf und starrte hinaus in seine winzige Welt.
    »Im Tagesclub ist es aber auch nicht leiser als zu Hause«, sagte Gari, als die Tür hinter ihnen wieder zugeglitten war.
    Jed nickte deprimiert. »Ich weiß. Aber du kannst Mrs. Yandell fragen, ob du in ihr Büro darfst. Sie wird es verstehen.«
    »Wahrscheinlich«, gestand Gari niedergeschlagen. Noch vor gar nicht langer Zeit war ihr Bruder imstande gewesen, ihr gesamtes Universum zurechtzurücken. Das war vor Digger gewesen.
    Jed marschierte den Tunnel hinunter. Nur der Boden war mit Kompositfliesen verkleidet; Wände und Decken bestanden aus nacktem Fels, übersät mit Energieleitungen, Datenkabeln und dicken Belüftungsrohren. An der ersten Kreuzung bog Jed nach links ab, ohne auch nur einen Gedanken an den Weg zu verschwenden. Sein gesamtes Leben bestand aus diesem hexagonalen Geflecht von Gängen, welches das Innere des Asteroiden durchzog, und die gesamte Topographie erfüllte nur den Sinn, zwei Orte miteinander zu verbinden: Die Wohnung und den Tagesclub.
    Es gab nichts anderes, wo er hätte hingehen können.
    Tunnel mit schummriger Beleuchtung, verborgene Maschinen, die jede Wand in Koblat leise vibrieren ließen, das war seine Welt, eine Welt ohne jeden Horizont. Niemals frische Luft und offenen Raum, nicht für seinen Körper und erst recht nicht für den Geist. Die erste Biosphäre war noch immer nicht fertig ausgehöhlt (dort arbeitete Digger), und die Vollendung war bereits um Jahre hinter der Planung zurück und das Budget ruinös überzogen. Früher einmal hatte Jed sich der Illusion hingegeben, daß sie ihm ein Ventil für all seine aufgestauten Gefühle von Beengtheit und Wut verschaffen würde, daß er die Möglichkeit haben würde, seine überschüssigen Energien durch das Rennen über frisch gepflanzten Rasen abzubauen. Das war vorbei. Mama und Digger waren wie all die anderen Erwachsenen zu dumm, um zu begreifen, was Possession wirklich bedeutete. Doch Jed wußte es. Nichts mehr spielte eine Rolle, nichts was man tat, nichts was man sagte, nichts was man dachte, nichts was man wünschte. Ob man jetzt starb oder erst in hundert Jahren, am Ende verbrachte man den Rest der Ewigkeit mit einem gequälten Bewußtsein, das unfähig war, sich selbst auszulöschen. Der finale, endgültige Horror.
    Nein, die Erwachsenen dachten nicht darüber nach. Sie waren so gefangen in dieser Existenz wie die Verlorenen Seelen im Jenseits. Sie jagten den schlecht bezahlten Jobs nach, gingen dorthin, wohin die Gesellschaften sie schickten. Keine Wahl, kein Entkommen, nicht einmal für ihre Kinder. Das Errichten einer besseren Zukunft war kein Konzept, das in ihren Gedanken Platz fand. Sie waren in der Gegenwart erstarrt.
    Im Tunnel draußen vor dem Tagesclub herrschte ungewöhnlich reges Treiben. Kinder liefen hin und her, andere drängten sich in Gruppen zusammen und schnatterten aufgeregt mit hohen Stimmen. Jed runzelte die Stirn. Irgend etwas stimmte nicht. Die Kinder von Koblat brachten normalerweise nicht soviel Energie oder Begeisterung auf. Sie kamen her, um herumzuhängen oder die AV-Projektionen

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