Seelengesaenge
anzusehen, die von der Entwicklungsgesellschaft gestellt wurden, um jugendliche Aggressionen zu absorbieren und neutralisieren. Es war die gleiche sich ständig wiederholende Schleife aus Hoffnungslosigkeit wie bei ihren Eltern.
Jed und Gari wechselten einen verwirrten Blick. Beide spürten, daß etwas in der Luft lag. Dann sah Jed, wie sich Beth durch die Menge wand und ihnen mit breitem Grinsen auf dem hageren Gesicht entgegenkam. Beth war Jeds Beinahe-Freundin, im gleichen Alter wie er und stets mit derben Bemerkungen auf der Zunge. Er wußte nicht genau, ob es Zuneigung war oder nicht, aber es schien zumindest eine einigermaßen stabile Freundschaft zu sein.
»Hast du es schon gesehen?« fragte Beth.
»Was denn?«
»Das Sens-O-Vis, das der Hellhawk gesendet hat, du Kretin.« Sie lachte und deutete auf ihr Bein. Sie hatte sich ein rotes Taschentuch um den Knöchel geschlungen.
»Nein.«
»Dann komm schnell, Kumpel, dir werden die Augen übergehen.« Sie packte seine Hand und zerrte ihn durch das Gedränge von Kindern ringsum. »Die Verwaltung hat selbstverständlich versucht, es zu löschen, aber die Sendung war nicht kodiert. Jede Speicherzelle im gesamten Asteroiden hat sie aufgefangen. Sie konnten es beim besten Willen nicht verhindern.«
Im Tagesclub standen drei AV-Projektoren, die gleichen, die Jed immer benutzt hatte, um sich Landschaftspanoramen anzusehen, die für ihn der Inbegriff von Freiheit waren. Doch die AV-Projektoren übermittelten nur akustische und optische Signale; sie waren nicht hoch genug entwickelt (das hieß: zu billig), um Aktivierungsmuster zu übertragen, welche die entsprechenden taktilen und olfaktorischen Sinne ansprachen.
Dichte Funkenschauer erfüllten den größten Teil des Raums. Zwanzig Leute standen mit schlaff herabhängenden Armen und Gesichtern wie in Trance herum, während sie mit der Aufzeichnung in Interaktion waren. Neugierig geworden wandte sich Jed einem der Projektoren zu.
Marie Skibbows gebräunter, kraftvoller Körper stand fünf Meter vor ihm an einen großen Felsen gelehnt, ein paar dünne Fetzen Stoff über atemberaubenden Kurven. Es war eine unendlich natürliche Haltung. Eine Venus wie sie konnte nur in eine so paradiesische Umgebung wie diese mit ihrer Wärme und ihrem Licht und der üppigen Vegetation gehören. Jed verliebte sich auf der Stelle. In seinen Gefühlen war kein Platz mehr für die dünne, eckige Beth mit ihrem derben Benehmen. Bis zu diesem Augenblick hatten Frauen wie Marie Skibbow nur in der Werbung oder in AV-Dramen existiert; sie waren nicht real, nicht natürlich, nicht so wie sie. Die Tatsache, daß eine Person wie Marie tatsächlich irgendwo innerhalb der Konföderation lebte und atmete gab ihm einen Kick, der über alles hinausging, was er bisher gekannt hatte.
Kiera Salter lächelte ihn an, ihn ganz allein. »Ich weiß, sie werden Ihnen erzählen, daß Sie diese Aufnahme nicht ansehen sollten«, begann sie. »Und ich bin sicher, sie meinen es verdammt ernst damit …«
Als die Aufzeichnung geendet hatte, blieb Jed stocksteif stehen. Er fühlte sich, als wäre ihm ein Stück seines eigenen Körpers gestohlen worden. Ganz bestimmt fehlte etwas, und er spürte den Verlust schmerzlich. Gari stand neben ihm, und ihr Gesichtsausdruck war ebenso verloren.
»Wir müssen nach Valisk«, sagte Jed zu ihr. »Wir müssen nach Valisk und zu ihnen.«
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12. Kapitel
Das Hotel lag auf einem eigenen Plateau auf halber Höhe des Bergrückens, und es bot einen wunderbaren Ausblick über die weite Bucht. Die einzigen Gebäude, mit denen es das felsige Amphitheater teilte, waren ein halbes Dutzend abgeschiedener Villen, die Familien mit altem Geld gehörten.
Al verstand nur zu gut, warum die Besitzer keine Mühe gescheut hatten, die Planer von dort fernzuhalten. Es war ein phantastischer Ausblick, ein unverdorbener Strand, der sich meilenweit hinzog, mit kleinen felsigen Landzungen, wo die Brandung hochgischtete, und langen, trägen Brechern, die über den Sand rollten. Er bedauerte nur, daß er nicht nach unten gelangen und es aus vollen Zügen genießen konnte. In der Spitze seiner Organisation herrschte gefährlicher Zeitdruck. Es gab gewaltige Mengen Arbeit und eine viel zu enge Planung.
Damals in Brooklyn, als Al noch ein Kind gewesen war, hatte er an den Docks gesessen und die Möwen beobachtet, die in den schmutzigen Untiefen an toten Dingen gepickt hatten. Ihre Hälse hatten niemals aufgehört sich zu bewegen, den ganzen Tag
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