Seelengesaenge
Jacqueline Couteurs Existenz ist unsere gesamte Konzeption von Quantenkosmologie anscheinend äußerst unvollständig. Die Technologie, schneller als das Licht zu reisen, ist offensichtlich längst nicht das Ende der Fahnenstange, wie wir es einst angenommen haben.«
Quinn hatte einige Zeit damit verbracht, die Brücke der Tantu zu modifizieren. Es war nicht so sehr das Aussehen des Abteils, das ihn störte; die Fregatte war für hohe Beschleunigungskräfte konzipiert und ihre Ausstattung dementsprechend funktional. Quinn mochte die daraus sprechende Kraft und verstärkte den Eindruck noch, indem er die Oberflächen mit einem verwinkelten mattschwarzen Relief von der Art überzog, wie es seiner Meinung nach im obersten Tempel des Lichtbruders die Wände verzieren würde. Die Beleuchtungspaneele strahlten in gedämpftem Rot und flackerten hinter rostigen Eisengittern.
Es waren die Informationen, oder vielmehr der Mangel daran, der ihn störte, und konsequenterweise verbrachte er die meiste Zeit damit, diesen Zustand zu korrigieren. Er besaß keine neurale Nanonik – nicht, daß sie in seinem Körper funktioniert hätte. Und das bedeutete, daß er nicht wußte, was außerhalb des Schiffes geschah. Trotz all der fabelhaften hochauflösenden Sensoren der Tantu war er blind, außerstande zu reagieren, Entscheidungen zu treffen. Also galt seine oberste Priorität dem Sichtbarmachen des äußeren Universums.
Quinn und Lawrence hatten kaum zwanzig Minuten benötigt, um nach dem Anlegen des Raumflugzeugs die neunzehn Mann starke Besatzung der Tantu für die Possession zu unterwerfen. Eine weitere Stunde hatte er benötigt, um die zurückgekehrten Seelen zum Eintritt in die Sekte zu bringen und dazu, seine Rolle als Anführer zu akzeptieren.
Dreimal hatte er Ungläubige disziplinieren müssen, eine Verschwendung, die Quinn bedauerte.
Die verbliebenen sechzehn hatten hart gearbeitet, um die Displays einzubauen, die er wünschte: Jetzt standen Holoschirme auf jeder Konsole, und der Bordrechner zeigte die Umgebung des Schiffes in einem stark vereinfachten dreidimensionalen Diagramm. Erst dann, als Quinns Zuversicht halbwegs zurückgekehrt war, hatte er den Aufbruch aus dem Orbit von Norfolk befohlen.
Er lehnte sich in seiner majestätischen, samtbezogenen Beschleunigungsliege zurück und ordnete den ersten Sprung an. Zwanzig Sekunden nach Vollendung des Manövers zeigten ihm die Holoschirme, wie die kleine rote Pyramide, die das einzelne Verfolgerschiff repräsentierte, mitten im Zentrum des ansonsten leeren Würfels materialisierte. Nach dem Maßstab zu urteilen befand es sich in einer Entfernung von dreitausend Kilometern.
»Wie können wir ihnen entkommen?« wandte er sich fragend an Bajan.
Bajan war der Possessor des früheren Kommandanten der Tantu und bereits die dritte Seele in diesem Körper, seit Quinn an Bord gekommen war. Quinn war mit den beiden ersten höchst unzufrieden gewesen; sie hatten beide aus vor-industriellen Epochen gestammt. Quinn brauchte jemanden mit technologischem Wissen, jemanden, der imstande war, die Flut von Daten zu interpretieren, die der gefangene Verstand des Kommandanten beherbergte. Bajan war erst vor zwei Jahrhunderten gestorben; ein ziviler Fusionsingenieur, der das Konzept des Raumflugs verstand. Außerdem besaß er ein schwaches, bemühtes Selbstbewußtsein, das Quinn und der Sektendoktrin wenig Widerstand entgegenzusetzen versprach. Quinn störte es nicht, im Gegenteil: derartige Schwächen machten es ihm nur leichter, seine Umgebung zu kontrollieren.
Bajan schloß die Faust, bis die Knöchel hervortraten – Symbol für den Druck, den er auf den gefangenen Geist des Kommandanten in seinem Körper ausübte. »Sequentielle Sprünge«, sagte er schließlich. »Das Schiff ist entsprechend ausgerüstet. Damit schütteln wir jeden Verfolger ab.«
»Dann los«, befahl Quinn.
Drei Sprünge später und sieben Lichtjahre weiter waren sie allein im interstellaren Raum. Vier Tage darauf materialisierten sie in einer vorgegebenen Austrittszone zweihunderttausend Kilometer über der Erde.
»Zu Hause«, sagte Quinn und lächelte. Die optischen Sensoren der Fregatte zeigten die Nachtseite des Planeten, eine bleiern blaugraue Sichel, die sich langsam weitete, während die Tantu sich der Tag-Nacht-Linie näherte. Auf den Kontinenten leuchteten helle Sterne: die Arkologien mit ihrem gewaltigen Energiekonsum, wo Straßenbeleuchtung, das Licht der Wolkenkratzer, Stadien, Fahrzeuge, Parks,
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