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Seelengesaenge

Seelengesaenge

Titel: Seelengesaenge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter F. Hamilton
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Territorien kämpften. Während die Neurosyphilis nach und nach seinen Verstand zerfraß, stieg er aus den Reihen von Seinesgleichen als der berüchtigtste, erfolgreichste und meistgefürchtete Gangsterboß von allen auf. Schrullen wurden zu großspuriger Überspanntheit: Er eröffnete Suppenküchen für die Armen, organisierte prachtvolle Begräbnisse für umgekommene Kollegen mit Umzügen, die den gesamten Verkehr in der Stadt zum Erliegen brachten, er hechelte nach der Aufmerksamkeit der Zeitungen und hielt Pressekonferenzen ab, bei denen er seinen Edelmut beteuerte, indem er den Menschen das gab, was sie brauchten, er sponserte abgebrannte Jazzmusiker. Nach und nach wurde seine Extravaganz mindestens genauso berühmt wie seine Brutalität.
    Auf dem Höhepunkt seiner Macht wurde er sogar im Weißen Haus zum Gesprächsthema Nummer eins. Nichts, was die Behörden unternahmen, schien ihm je etwas anhaben zu können. Verhaftungen, Verhöre, Anklagen vor Gericht – mit seinem Geld erkaufte er sich stets einen Weg in die Freiheit, und sein Ruf (und seine Leute) brachten alle Zeugen zum Verstummen.
    Also tat die Regierung das, was Regierungen stets tun, wenn sie mit einer Opposition konfrontiert werden, die sich mit legalen und fairen Mitteln nicht zu Fall bringen läßt. Sie fing an zu betrügen.
    Das Verfahren wegen Steuerhinterziehung, das man ihm anhängte, wurde später als legale Lynchjustiz beschrieben. Das Schatzamt verkündete neue Gesetze und wies ihm nach, daß er sie gebrochen hatte. Ein Mann, der (direkt und indirekt) Schuld trug am Tod von Hunderten von Menschen, wurde wegen Steuerhinterziehung in Höhe von $215.800 zu elf Jahren hinter Gittern verurteilt.
    Seine grausame Herrschaft war zu Ende, doch sein Leben brauchte weitere sechzehn Jahre, um zu schwinden. Mit der Neurosyphilis, die in seinem Kopf wütete, verlor er jeglichen Sinn für die Realität. Er litt unter Halluzinationen und hörte Stimmen. Sein Verstand war längst aus der Wirklichkeit geflüchtet.
    Am fünfundzwanzigsten Januar des Jahres 1947 hörte auch sein Körper auf zu funktionieren. Er entschlief halbwegs friedlich in seinem großen Haus in Florida, umgeben von seiner trauernden Familie. Doch wenn man bereits vollkommen dem Wahn verfallen ist, gibt es kaum einen spürbaren Unterschied zwischen dem eigenen delusorischen Universum und der endlosen Qual des Jenseits, in das die Seele am Ende des Lebens wechselt.
    Mehr als sechshundert Jahre vergingen.
    Die Entität, die schließlich aus dem Jenseits in den zerfetzten, geschundenen Körper von Brad Lovegrove fuhr, dem vierten Assistant Manager (Amt für Hygiene und Abfallbeseitigung) der Tarosa Metamech Corp. von New California, erkannte nicht einmal, daß sie wieder zurück unter den Lebenden war. Jedenfalls nicht gleich zu Beginn, heißt das.
    Der erste Possessor, der in New California eintraf, kam an Bord eines Frachters aus dem Norfolk-System. Es war einer von den ursprünglichen einundzwanzig Aufständischen, die Edmund Rigby in Boston geschaffen hatte. Sein Name lautete Emmet Mordden, und sobald er auf der Oberfläche des Planeten eingetroffen war, begann er mit dem Prozeß der Eroberung. Er brachte Leute von der Straße in seine Gewalt, brachte ihnen tödliche Verletzungen bei, um ihren Geist zu schwächen und ihren Verstand zu öffnen, damit er die Seelen aus dem Jenseits zu empfangen bereit war.
    Es war eine kleine Bande von Possessoren, die in den nachfolgenden Tagen unauffällig über die Boulevards von San Angeles flanierte und nach und nach die eigenen Reihen auffüllte. Wie alle Possessoren, die überall innerhalb der Konföderation in das diesseitige Universum zurückkehrten, verfolgten sie keine bestimmte Strategie. Ihr einziger Antrieb war ein fast übermächtiger Impuls, weitere Seelen aus dem Jenseits zurückzuholen.
    Doch dieser Bursche mitten unter ihnen war ihrer Sache nicht im geringsten dienlich. Sein Verstand war gestört, und er reagierte auf keinerlei externe Stimulation. Unablässig rief er einem imaginären Bruder Frank laute Warnungen zu, er weinte, und er führte lange Selbstgespräche über seine Schuhfabrik, mit der er allen hatte Arbeit verschaffen wollen. Ständig verschoß er ohne Vorwarnung winzige, ungezielte Blitze, er kicherte unmotiviert, er pinkelte und schiß sich in die Hosen. Wann immer sie ihm Essen brachten, verwandelten seine energistischen Fähigkeiten es in eine Pasta mit einer scharfen Soße, die einen unerträglichen Gestank

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