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Seelengesaenge

Seelengesaenge

Titel: Seelengesaenge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter F. Hamilton
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verströmte.
    Nach zwei Tagen ließ die wachsende Schar von Possessoren ihn einfach in der leerstehenden Werkstatt zurück, die ihnen anfänglich als Basis gedient hatte. Würden sie sich die Mühe gemacht haben, ihn noch einmal zu untersuchen, bevor sie gingen, wäre ihnen aufgefallen, daß sein Benehmen ein wenig angepaßter und sein Gerede ein wenig zusammenhängender war als zu Beginn.
    Psychotische Denkstrukturen, die sich Anfang der vierziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts gebildet hatten und sechshundert Jahre lang nicht behandelt worden waren, arbeiteten endlich wieder innerhalb einer gesunden neuronalen Struktur. Es gab kein chemisches Ungleichgewicht, keine Spirochäten, nicht einmal Spuren einer milden Alkoholvergiftung, denn Lovegrove war niemand, der trank. Die geistige Gesundheit seines Possessors kehrte nach und nach zurück, als die Gedankenprozesse in natürlicheren Bahnen verliefen.
    Er spürte, wie Verstand und Erinnerungen schließlich zusammenliefen, als kehrte er vom schlimmsten Kokaintrip seines Lebens zurück (seinem langjährigen Laster aus den 1920ern). Stundenlang lag er einfach nur zitternd am Boden, während die Erinnerungen durch sein sich ausweitendes Bewußtsein strömten. Erinnerungen, die ihn speiübel werden ließen und die nichtsdestotrotz zu ihm gehörten.
    Er hörte gar nicht, wie die Tür der Werkstatt geöffnet wurde oder das überraschte Grunzen des Immobilienmaklers, die schweren Schritte, die auf ihn zu marschierten. Eine kräftige Hand packte ihn an der Schulter und schüttelte ihn unsanft.
    »Heh, du da! Wie zum Teufel bist du hier reingekommen?«
    Er zuckte heftig zusammen und öffnete die Augen. Vor ihm stand ein Mann mit einem sehr eigenartigen Helm auf dem Kopf, als lägen glänzend grüne Käferflügel über seinem Schädel. Lidlose goldene, merkwürdig starre Glubschaugen starrten ihn an. Er schrie auf und wirbelte herum. Der gleichermaßen erschrockene Immobilienmakler wich einen Schritt zurück und griff nach dem illegalen Kortikalstörer in seiner Jackentasche.
    Trotz sechshundert Jahren technologischer Entwicklung erkannte er noch immer eine Handfeuerwaffe, wenn er eine sah. Natürlich verriet sich der Immobilienmakler durch seinen Gesichtsausdruck von Überheblichkeit und nervöser Erleichterung – es war der Ausdruck, den jeder Mann trug, der in die Ecke gedrängt war, wenn sich die Chancen plötzlich wieder zu seinen Gunsten wandelten.
    Er zog seine eigene Waffe – nur, daß er sie nicht wirklich zog. Er besaß überhaupt kein Halfter. In der einen Sekunde wünschte er sich noch eine Pistole, und in der nächsten umschlossen seine Finger eine Thompson-Maschinenpistole. Er drückte ab. Und das einst vertraute Rattern der Waffe, früher bekannt als Schützengrabenfeger, hämmerte wieder einmal in seinen Ohren. Eine eigenartige weiße Flamme raste aus dem Lauf, als er die Thompson auf den Maklertypen richtete und gegen den Rückstoß kämpfte, der die Mündung nach oben drücken wollte.
    Dann war nur noch ein zerfetzter zuckender Leichnam zu sehen, der gallonenweise Blut auf den nackten Betonboden pumpte. Die tiefen Wunden rauchten, als wären seine Kugeln Brandgeschosse gewesen.
    Mit hervorquellenden Augen und voller Entsetzen starrte er einen Augenblick lang auf den Leichnam, dann mußte er sich hilflos übergeben. In seinem Kopf drehte sich alles, als würde der endlose Alptraum des Wahnsinns aufs neue von ihm Besitz ergreifen wollen.
    »Himmel, nein!« stöhnte er. »Alles, nur nicht wieder das! Bitte nicht!« Die Thompson war genauso geheimnisvoll wieder verschwunden, wie sie aufgetaucht war. Er ignorierte die Übelkeit, die seine Gliedmaßen vor Schwäche zittern ließ, und torkelte durch die Tür nach draußen und auf die Straße. Irre Wahnbilder narrten ihn. Sein Kopf fiel langsam in den Nacken, als er die Phantasiewelt in sich aufnahm, in der er gelandet war. Wie ein Superheldencomic der dreißiger Jahre, dachte er. Niedrig treibende Wolkenfetzen, die vom Meer herantrieben, teilten sich an den nadelspitzen Wolkenkratzern aus Chromglas, aus denen das Stadtzentrum von San Angeles bestand. Jede Oberfläche reflektierte prismatisches, glänzendes Licht. Eine ganze Stadt aus spiegelnden, vielfarbenen Riesentürmen. Dann erblickte er die schmale rötliche Sichel eines kleinen roten Mondes direkt im Zenit. Die Abgasschweife von Raumschiffen zogen sich über einen kobaltblauen Himmel wie brennende Kometen. Sein Unterkiefer sank in vollkommenem

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