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Seelengift

Titel: Seelengift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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nächste Akte.
    I’m tired of the war, I want the kind of work I had before, a wedding dress or something white …
    Clara nahm einen weiteren Schluck und ließ den Rest in ihrem Glas kreisen. Langsam wurde ihr warm, und eine leichte Schläfrigkeit überkam sie. So viel frische, bitterkalte Luft in Verbindung mit dem Alkohol brachte ihr Gesicht zum Glühen.
    A wedding dress or something white , sang sie Leonard Cohen nachdenklich hinterher. Woran erinnerte sie das nur? A wedding dress or something white … Sie war schon fast eingenickt, als es ihr einfiel: ein weißer Morgenmantel, zurückgelassen an der Uferböschung. Dann die Schilderung von Grubers Verhalten am Fundort seiner Frau, der Mantel, über die Leiche gebreitet …
    Clara richtete sich auf. Sie war wieder hellwach. Mit dem fast leeren Glas in der Hand sprang sie auf und ging zu ihrem Schreibtisch. Während ihr Laptop hochfuhr, trank sie den Whiskey aus und lächelte zufrieden. Vielleicht war es ja genau das. Worte, Argumente: ihre Begabung. Sie begann zu tippen.
     
    Der Haftprüfungstermin war auf Donnerstag angesetzt, auf elf Uhr vormittags. Clara fand das Fax am nächsten Morgen in der Kanzlei und nickte befriedigt. Das war gut. Sie war bereit. Dann rief sie im Polizeipräsidium an und ließ sich mit einem Herrn Roland Hertzner verbinden.

    Als sie am nächsten Morgen Walter Gruber im Zimmer der Ermittlungsrichterin begrüßte, war ihr doch ein wenig flau im Magen. Sie hatte ihre Strategie nicht mehr mit ihm besprochen. Zum einen, weil die Zeit dafür gefehlt hatte, zum anderen aber auch ganz bewusst, weil sie sich nicht sicher war, wie Gruber darauf reagiert hätte. Clara kannte die Richterin, Dr. Heidrun Allescher, bereits aus früheren Fällen. Eine etwas spröde, aber sehr erfahrene Juristin, die erst lange Jahre am Zivilgericht gewesen war und dann zum Strafrecht gewechselt hatte.
    Sie setzten sich, und Clara nickte Gruber beruhigend zu. Gruber erwiderte ihren Blick mit verhaltenem Misstrauen. Er war nervös, man konnte es an der Art sehen, wie er eine richtige Position für seine Hände suchte, sie auf den Tisch legte, verschränkte und dann wieder sinken ließ.
    Clara wandte sich ab und richtete ihre Aufmerksamkeit auf die Richterin. Sie hatte Claras Antrag vor sich und machte sich mit gerunzelter Stirn ein paar Notizen auf einem Zettel. Dazwischen blätterte sie immer wieder in der Akte. Das Schweigen zog sich in die Länge, und schließlich machte Clara, die nun selbst zunehmend nervös wurde, es ihr nach: Sie zückte ebenfalls ihren Stift und kritzelte mit gewichtiger Miene auf dem leeren Blatt Papier in ihrer Akte herum.
    Endlich begann die Richterin zu sprechen. »Wenn ich das richtig lese, Frau Anwältin, dann stützen Sie Ihren Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls darauf, dass kein hinreichender Tatverdacht zu Lasten Ihres Mandanten vorliegt?«
    Clara nickte. »So ist es.«
    Dr. Allescher schob ihre Brille zurecht und musterte Clara scharf. »Ist Ihnen klar, dass dies angesichts der Beweislage ein etwas … nun ja … sagen wir: kühnes Unterfangen darstellt?«

    Wieder nickte Clara. »So, wie die Beweislage sich auf den ersten Blick präsentiert, mag das sein, ja.«
    »Auf den ersten Blick?« Die Richterin hob ihre sorgfältig gezupften Augenbrauen. »Es gibt also Ihrer Meinung nach am Ermittlungsergebnis der Kollegen Ihres Mandanten etwas zu bemängeln?« Ihrem Ton war eine Spur Ironie zu entnehmen.
    Clara nickte ein drittes Mal, ungerührt. »Ja. Durchaus.« Sie hörte, wie Gruber neben ihr unruhig auf dem Sitz hin und her rutschte, wandte sich ihm jedoch nicht zu.
    Die Richterin klopfte auf das Blatt Papier, das vor ihr auf dem Tisch lag: »Nachdem Sie die Punkte, auf die Sie Ihren Antrag stützen, in diesem Schreiben nicht näher erläutern, sondern angeben, sie mündlich in der Verhandlung präsentieren zu wollen, lassen Sie mich also hören.«
    Clara legte sich das Blatt zurecht, auf dem sie vorgestern Abend ihre Argumente aufgeschrieben hatte. »Zunächst, und da stimme ich dem Gericht zu, deutet alles auf die Täterschaft meines Mandanten hin«, begann sie. »Er war, wie es aussieht, als Einziger am Tatort, es gibt keine Spuren einer dritten Person. Das Motiv kann man sich leicht dazudenken, verletzter Stolz, ein Streit«, sie hob die Schultern. »Eine Tat im Affekt, also Totschlag.« Sie hob die Stimme. »Ich betone: Nach dem Ermittlungsergebnis war es kein Mord. Es fehlen alle möglichen Tatmerkmale, die es zu einem Mord

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