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Seelengift

Titel: Seelengift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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Dann wandte sie sich der Protokollführerin zu und diktierte: »Verteidigerin beantragt, ins Protokoll aufzunehmen, wie folgt …«
    Clara machte einen zweiten Haken an ihre Notizen. Es hatte
sich gelohnt, mit Roland Hertzner zu sprechen. Anfangs war er sehr zurückhaltend gewesen, aber dann war es Clara doch gelungen, ihn dazu zu überreden, ein klein wenig aus dem Nähkästchen zu plaudern.
    Nachdem die Richterin ihr Diktat mit einem süffisanten »Ist es so recht, Frau Rechtsanwältin?« noch einmal hatte vorlesen lassen, wandte sich Clara dem nächsten Punkt ihrer Liste zu.
    Geliebter stand hier und dahinter drei Fragezeichen. Roland Hertzner hatte nichts Genaues gewusst: Gruber habe nie darüber gesprochen, aber angeblich sei »irgend so ein Typ« Ursache für die Trennung gewesen.
    Clara räusperte sich. »Die Beamten sind von Anfang an davon ausgegangen, dass es sich hier um eine Beziehungstat gehandelt hat und nicht um die Tat eines Fremden. Ich denke, in diesem Punkt haben sie recht. Es ist vollkommen abwegig anzunehmen, dass um fünf Uhr morgens irgendein Mann auf die Idee kommt, in das Haus einzudringen und Frau Gruber, die er gar nicht kennt, umzubringen.«
    »Freut mich, dass wir in diesem Punkt einer Meinung sind«, merkte die Richterin trocken an.
    »Aber das heißt noch nicht zwingend, dass es mein Mandant war.«
    Die Richterin unterbrach sie: »Diese Frage wird noch zu klären sein. Wir befinden uns noch nicht in der Hauptverhandlung. Heute geht es nur um die Fortdauer der Untersuchungshaft. Sie können sich also Ihr Plädoyer noch aufsparen. Wenn Sie keine Argumente mehr haben, um den dringenden Tatverdacht gegenüber Ihrem Mandanten zu beseitigen, müssen wir hier abbrechen.«
    Clara presste die Lippen zusammen. Sie musste sich beeilen, sonst würde die Richterin ihr nicht mehr zuhören. Es
war schon nach eins. Wahrscheinlich war sie zum Mittagessen verabredet.
    »Doch. Ich habe noch zwei Punkte«, gab sie knapp zurück. »Zum einen hat die Polizei keinen Augenblick lang Frau Grubers Geliebten ins Visier genommen, was ich außerordentlich merkwürdig finde …«
    »Das Opfer hatte einen Geliebten?«, fragte die Richterin erstaunt nach. »Wie kommen Sie darauf? In der Akte steht, sie lebte allein, und nach Angaben ihrer Arbeitskollegen und auch Ihres Mandanten hatte sie keine Beziehung.«
    »Im Augenblick nicht, das ist richtig«, gab Clara zu. »Aber sie hatte einen Liebhaber, was ja auch der Grund für die Trennung von ihrem Mann war. Und ein verflossener Liebhaber ist meiner Meinung nach ein ebenso passabler Tatverdächtiger wie mein Mandant.«
    Die Richterin wandte sich jetzt direkt an Gruber: »Ist das wahr, was Ihre Anwältin sagt? Hatte Ihre Frau eine Beziehung zu einem anderen Mann?«
    Gruber warf Clara einen bösen Blick zu, dann sagte er leise: »Ja. Aber das war vorbei. Schon seit einiger Zeit …«
    Clara unterbrach ihn. »Aber noch nicht so lange, dass es für diesen Mann keine Rolle mehr spielen könnte, dass Irmgard Gruber eine Nacht mit ihrem Exmann verbringt.«
    Die Richterin warf Gruber einen nachdenklichen Blick zu: »Sie haben diesen anderen Mann bei Ihrer Vernehmung nicht erwähnt. Die Tatsache, dass Ihre Frau noch eine andere Beziehung hatte, könnte Sie durchaus entlasten. Das muss Ihnen doch bewusst gewesen sein.«
    Gruber antwortete nicht sofort. Er hielt den Kopf gesenkt und sah sekundenlang schweigend seine Hände an. Dann sagte er: »Er hat doch keine Rolle mehr in Irmis Leben gespielt. Es war vorbei. Wir … wir wollten doch neu anfangen
…« Seine Stimme erstarb, und Clara sah, wie er mit den Tränen kämpfte. Er hielt den Kopf gesenkt und schluckte schwer. Seine Hände begannen zu zittern. Er hob eine Hand, wollte sich über die Augen wischen, doch mitten in der Bewegung hielt er inne, verharrte eine Sekunde bewegungslos und gab es auf, sich zu beherrschen. Er beugte sich nach vorne, stützte sich auf den Tisch und vergrub sein Gesicht in den Händen. Seine Schultern bebten.
    Clara warf einen Blick auf die Richterin und bemerkte mit Genugtuung, dass Grubers Erschütterung und sein Ringen um Fassung sie betroffen machten. Sicher kannte sie Gruber von zahlreichen Prozessen, in denen er als ermittelnder Beamter ausgesagt hatte. Ihn jetzt so zu erleben konnte sie nicht ungerührt lassen. Trotz ihres ehrlichen Mitgefühls für Gruber war Clara in dem Moment kaltblütig genug, sich für ihre Taktik zu loben. Beim Lesen der Akte hatte Clara ebenso verwundert wie die

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