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Seelengift

Titel: Seelengift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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gestanden hatten, hatte er wieder daran denken müssen. Das Gespenstische daran war, dass es sich damals auch um eine Frau gehandelt hatte, sogar im gleichen Alter wie Irmi, und auch sie hatte jemand unbekleidet die Böschung hinuntergeworfen. An der gleichen Stelle! Man hatte sie nur nicht sofort gefunden, denn sie war zugeschneit worden. Erst einige Tage später, als es Tauwetter gegeben hatte, war sie entdeckt worden. Gruber schluckte bei dem Gedanken daran, dass sie Glück gehabt hatten, Irmis Leiche sofort zu finden.
    Wenn es am Wochenende geschneit hätte …
    Keinem seiner Kollegen war diese Übereinstimmung offenbar besonders aufgefallen. Oder aber, man hatte sie als unwesentlich abgetan, weil in ihren Augen der Täter in diesem Fall ja bereits feststand: Der Täter war er, Walter Gruber, ihr Vorgesetzter und Kollege. Gruber verzog bitter den Mund. Nein, seinen Leuten brauchte er mit der Geschichte von der zweiten Frau nicht zu kommen. Die würden ihn nur mitleidig anschauen. Oder schlimmer noch: Vielleicht kämen sie sogar
auf die Idee, er habe seine Frau mit voller Absicht eben gerade dort abgelegt, um von sich ab- und ihre Aufmerksamkeit stattdessen auf diesen alten Fall zu lenken. Der Sommer waren solche Gedankengänge durchaus zuzutrauen. Sie würde ihn kühl mustern und ihn dann schnurstracks »höchst professionell« nach Hause schicken. Damit sie in Ruhe nachermitteln konnten: um seine Schuld zu beweisen.
     
    Gruber stand auf und ging zum Kühlschrank, um sich ein neues Bier zu holen. Er öffnete es mit einem Kaffeelöffel, der neben der Spüle lag, und setzte sich zurück an seinen Platz neben dem Fenster. Er konnte sich nicht mehr auf seine Leute verlassen. Nicht in diesem Fall. Und wahrscheinlich auch danach nicht mehr. Wenn es ein Danach gab. Irgendwann.

ACHT
    Clara saß mit Mick im Old Victorian House und tunkte ihr Roastbeef unschlüssig in das Pfefferminzgelee, das einen exotischen Farbklecks auf dem sonst recht appetitlich wirkenden Teller bildete. Mick hatte sie zum Essen eingeladen und darauf bestanden, ausnahmsweise in ein englisches Restaurant zu gehen, wohl um ihr zu beweisen, dass es nicht ganz so grässlich um das englische Essen bestellt war, wie sie es von früher in Erinnerung hatte. Nun, vielleicht hatte er recht. Das Lokal war sehr gemütlich, Clara fühlte sich augenblicklich in einen Miss-Marple- oder Inspector-Barnaby-Film versetzt, und sie wurden von einem indischen Kellner höchst stilvoll bedient, der mit Mick Englisch mit einem entzückenden Akzent sprach. Nun aber mint-jelly zum Roastbeef. Clara kostete mit höchster Vorsicht, während Mick einen Stapel Fotos aus seiner Tasche holte und zu blättern begann.
    Er legte ihr ein Foto neben den Teller: »Schau! Das ist Kurt-Karim.«
    Clara verschluckte sich an der mint-jelly und musste husten. »Wie bitte?«
    Sie starrte auf das Bild eines winzigen Babys mit überraschend dichtem schwarzen Haarschopf und mürrischem Gesichtsausdruck.
    » Wie heißt der arme Wurm? Kurt? Und wie noch?«
    Mick lachte. »Ja, Kurt, nach Kurt Cobain, du weißt schon, Nirvana …«

    »Na, das sind ja tolle Aussichten für den Kleinen«, bemerkte Clara trocken. »Hat sich der nicht erschossen? Und wer ist Karim? Ein irakischer Freiheitskämpfer?«
    Mick schaute sie streng an. »Das ist der Name des Vaters. Er ist Pakistani.«
    »Oh. Ach so. Gut.« Clara fiel auf, dass der Schock über den Namen von Micks Neffen den Geschmack der mint-jelly irgendwie verdrängt hatte. Sie musste erneut kosten.
    »Es bedeutet edel und vornehm, aber auch gastfreundlich, es ist einer der neunundneunzig Namen Allahs«, belehrte sie Mick und grinste stolz.
    »Na, dann dürfte das wohl das schlechte Karma von Kurt Cobain wieder aufwiegen.« Clara kaute bedächtig ihr Fleisch mit mint-jelly und starrte dann nachdenklich auf den Teller.
    »Was ist? Schmeckt’s nicht?«
    »Oh. Doch, doch. Es ist nur … die Kombination … Sie schmeckt… etwa so ähnlich wie Kurt und Karim, wenn du verstehst, was ich meine …« Clara kicherte.
     
    Als sie den Hauptgang beendet hatten und die Teller abgeräumt waren, breitete Mick seine Fotos vor Clara aus. Er schien nur auf den Moment gewartet zu haben. Die Digitalkamera war Claras Weihnachtsgeschenk gewesen, doch jetzt betrachtete sie die überreiche Ausbeute an Fotos, die vor ihr lag, mit gemischten Gefühlen. So viel Familie, Heimat, Freunde, alles potentielle Gründe, um Mick von hier weggehen zu lassen. Weg von ihr. Sie schluckte

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