Seelengift
sofort?«
»Haben Sie was Besseres vor?«
»Oh, wie kommen Sie denn darauf?«, gab Clara ironisch zurück. »Sie sind natürlich mein einziger Mandant, und sonst sitze ich hier den ganzen Tag nur so zum Spaß herum!«
»Und wie viele mutmaßliche Mörder verteidigen Sie im Augenblick? Ich meine, außer mir?«
Clara seufzte. »Schon gut.«
Gerade als sie die Kanzlei verlassen wollten, kam Willi zur Tür herein. »Willi?« Clara starrte ihn verwundert an. Ihr Kompagnon, ein gebürtiger Hamburger und auch nach Jahren in München noch immer überzeugter Hanseat bis in die Knochen, war kaum wiederzuerkennen. Seit sie ihn kannte, war Willi ein Stubenhocker und Bücherwurm erster Klasse gewesen, dessen Gesichtsfarbe je nach Jahreszeit zwischen blass und sehr blass changierte, was einen trefflichen Kontrast
zu seiner großen schwarzen Hornbrille ergab. Heute jedoch war sein Gesicht keineswegs blass, im Gegenteil, es war, mit Ausnahme der Partie um die Augen, feuerrot, und auf eine Brille hatte er erstaunlicherweise ganz verzichtet.
»Moin!« Er gab Clara einen Kuss auf die Wange und grinste Gruber fröhlich an. »Oh, unser gestrenger Herr Gendarm. Was haben wir denn verbrochen?«
Eine peinliche Pause entstand. Clara biss sich auf die Lippen. Willi hatte natürlich keine Ahnung, was in seiner Abwesenheit passiert war. Sie packte ihn am Arm: »Sag mal, wie siehst du denn aus? Wie ein gekochter Krebs. Und wo ist deine Brille? Du darfst doch ohne sie gar nicht Auto fahren!« Sie linste nach draußen, doch tatsächlich, dort stand Willis Wagen auf dem Anwohnerparkplatz.
»Ja, Mama, weg, Mama, doch, Mama.«
»Wie bitte?«
» Ja , ich sehe aus wie ein gekochter Krebs, meine Brille ist weg , das heißt, sie ist schon noch da, aber zu Hause, und doch , Auto fahren darf ich, denn es gibt da so eine ungeheuerliche Erfindung, du wirst es nicht glauben, man nennt sie Kontaktlinsen, und man kann sie direkt auf die Augen legen, das ist sehr praktisch, zum Beispiel beim Skifahren …«
»Idiot.« Clara musste lachen. »Schön, dass du wieder da bist.«
Willi grinste und zupfte sich einen kleinen Hautfetzen über den Augenbrauen weg, wo sich die Haut bereits zu schälen begann. »Und was verschafft uns nun die Ehre des Besuches der hohen Polizei?« Er musterte Gruber neugierig.
Clara schob sich hastig an Willi vorbei. »Das erzähle ich dir ein anderes Mal. Wir müssen jetzt ganz dringend weg. Servus.«
Sie stürzte an die Tür, und Gruber folgte ihr, zum ersten
Mal seit der schrecklichen Geschichte leicht amüsiert. »Netter Kollege. Sie verstehen sich gut, oder?«
Clara nickte, ein wenig süßsauer. »O ja. Wir drei sind wie eine große Familie.« Durch die große Schaufensterscheibe sah sie, wie Willi Linda mit einer innigen Umarmung begrüßte, und unterdrückte einen Seufzer. Auf Dauer würde das nicht gutgehen. Es konnte nicht gutgehen, wenn man so eng zusammenarbeitete und einer der Anwälte mit der Sekretärin liiert war. Sie bekam jetzt schon Magenschmerzen bei dem Gedanken daran, dieses Thema bei Willi anzusprechen.
Adolf Wimbachers Versicherungsagentur war in der Hohenzollernstraße, nicht weit vom Nordbad entfernt. Sie fuhren mit Grubers Auto, einem von Streusalz überkrusteten, schmutzig-grauen 3er BMW, und an seiner verbissenen, aggressiven Fahrweise konnte Clara sehen, welche Überwindung es ihn kostete, diesem Mann gegenüberzutreten. »Am besten, Sie lassen mich reden«, meinte sie. »Nicht dass Sie gleich mit der Tür ins Haus fallen oder Streit anfangen.«
Gruber lachte freudlos. »Ha! Streit! Was glauben Sie denn? Wenn ich könnte, wie ich wollte, dann hätte ich diesem Saukerl längst sämtliche Knochen gebrochen.« Er bremste scharf und klopfte dann ungeduldig mit den Fingern auf das Lenkrad. »Und wenn sich herausstellt, dass er Dreck am Stecken hat, kann er darum betteln, dass das alles ist, was ich mit ihm anstelle.« Er überholte rüde einen zögerlichen PKW, der offenbar einen Parkplatz suchte, und zeigte dem Fahrer dabei den Vogel.
Clara kam der Gedanke, dass es vielleicht keine so gute Idee gewesen war, mit Gruber zusammen zu Adolf Wimbacher zu fahren. Doch dafür war es jetzt zu spät. Sie hatten
ihr Ziel erreicht. Gruber parkte ungerührt in zweiter Reihe und legte ein Schild an die Windschutzscheibe, das besagte, dass es sich hier um einen polizeilichen Einsatz handelte.
Adolf Wimbachers Versicherungsagentur war klein und deprimierend. Leicht angegraute Lamellenvorhänge an den
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