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Seelengift

Titel: Seelengift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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Küche, um ihnen zwei Tassen zu holen. Als sie zurückkam, hatte Gruber ihr eine Akte auf den Tisch gelegt. Clara musterte sie erstaunt. Es war eine Polizeiakte, sehr dünn und bereits im letzten Jahr abgelegt, wie der Vermerk auf dem Aktendeckel zeigte. Gerlinde Ostmann; geb. 14.04.1958, verst. 14.12.2008 , las Clara, dann folgte das Aktenzeichen und der Vermerk Ungeklärte Leichensache .
    »Was ist das?«, fragte Clara. »Hat das etwas mit dem Tod Ihrer Frau zu tun?«
    Gruber bejahte. »Ich glaube schon.« Er beugte sich nach vorne, wurde lebhafter. »Gerlinde Ostmann war mein Fall. Das heißt, eigentlich war es gar kein richtiger Fall, denn wie sich herausstellte, ist Frau Ostmann eines natürlichen Todes gestorben.« Er verzog den Mund. »Sofern man das so nennen kann, wenn jemand bei Minusgraden ohne einen Fetzen Kleider am Leib im Englischen Garten an einem Herzanfall stirbt.«
    Clara horchte auf. »Im Englischen Garten? Sie meinen …«
    »Ja. Man hat sie am Ufer des Schwabinger Bachs gefunden. Hinter dem Nordfriedhof. Genau wie meine Frau. Nur hat man sie nicht gleich nach ihrem Tod entdeckt. Es hat geschneit in jener Nacht, und sie wurde zugeschneit.« Er deutete mit einer müden Handbewegung auf die Akte. »Steht alles da drin.« Dann hob er den Kopf und sah Clara eindringlich an. »Sie lag genau an der gleichen Stelle, verstehen Sie?«
    Clara begriff und spürte ein leises Kribbeln im Magen.
Doch sie wollte nicht voreilig urteilen. »Aber warum stand darüber kein Wort in Ihrer Ermittlungsakte? Haben Ihre Kollegen denn keinen Zusammenhang gesehen?«
    Gruber machte eine heftige Bewegung und stieß dabei um ein Haar seine Kaffeetasse um.
    Elise, die zusammengerollt so nah wie möglich neben dem Ofen lag, hob wachsam den Kopf und ließ ein leises, warnendes Wuff ertönen.
    »Die Kollegen!« Gruber verzog verächtlich den Mund. »Was glauben Sie denn, was die sehen? Die sehen nur mich!«
    Clara blätterte durch die Akte und nickte langsam. »Verstehe. Und es war ein natürlicher Tod, sagten Sie? Wie kann so etwas natürlich sein?«
    Gruber lächelte bitter. »Sie sind die Juristin, Frau Niklas.«
    Clara gab keine Antwort. Sie las bereits den Abschlussbericht. Dann klappte sie die Akte zu und sah Gruber nachdenklich an. »Gerlinde Ostmann ist an einem Herzinfarkt gestorben, der in jedem Fall tödlich gewesen wäre. Aber sie wird sich wohl kaum selbst diese Böschung hinuntergestürzt haben. Noch dazu ohne Kleider …«, fuhr Clara fort. »Also gab es jemanden, der das getan hat.« Sie schlug die Akte noch einmal auf. »War sie da schon tot?«
    Gruber schüttelte den Kopf.
    »Also hat der Unbekannte, wer auch immer es war, sie lebend dort hinuntergestoßen …« Clara schauderte und trank hastig einen Schluck Kaffee. »Dabei konnte er, selbst wenn sie zu dem Zeitpunkt den Herzanfall schon gehabt hätte und nicht erst danach bekommen hat, nicht wissen …«
    »… dass gar keine Rettung mehr möglich war«, ergänzte Gruber und nickte ihr zufrieden zu, so als sei sie eine besonders gelehrige Schülerin. »Dem Täter war es egal, ob sie starb. Er hat keine Hilfe geholt, und es ist auch kein anonymer Hinweis
oder Ähnliches eingegangen. Ihm muss außerdem klar gewesen sein, dass sie in kürzester Zeit erfrieren würde.«
    »Aber warum hat er das getan?«, wandte Clara ein. »Es ergibt doch keinen Sinn. Wenn er sie tatsächlich hätte töten wollen, hätte er sich doch auch vergewissern müssen, dass sie wirklich stirbt? Außerdem konnte er den Herzinfarkt ja wohl kaum vorhersehen, oder?«
    Gruber verzog das Gesicht zu einer zynischen Grimasse. »Kurzschlussreaktion? Affekt? Stand es so nicht in dem Bericht über mich? Oder wie sagt man im Juristendeutsch so schön: Er hatte keine direkte Tötungsabsicht, aber hat ihren Tod billigend in Kauf genommen ?«
    Claras Augen blitzten zornig auf. »Was aber nichts daran ändert, dass er vorsätzlich gehandelt hat.«
    Gruber schüttelte den Kopf. »Das sagen Sie jetzt. Aber würden Sie es auch sagen, wenn Sie die Verteidigerin unseres Unbekannten wären? Es steht unzweifelhaft fest, dass die Frau in jedem Fall gestorben wäre. Also lag, objektiv gesehen, gar keine Tötungshandlung vor. Und was ist dann mit dem Vorsatz?«
    Clara sah ihn nachdenklich an. »Sie haben recht«, gab sie schließlich zu. »Dann würde ich natürlich anders argumentieren.«
    Gruber nickte. »Natürlich. Das ist Ihr Job.«
    Clara seufzte und sehnte sich nach einer Zigarette. »Aber unabhängig davon

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