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Seelengift

Titel: Seelengift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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besorgt zu. »Kann ich Ihnen helfen? Brauchen Sie ein Glas Wasser?«
    Der Mann schüttelte den Kopf. »Nein«, ächzte er in einer Hustenpause. »Geht schon wieder.« Er trank einen Schluck von seinem Kaffee und wischte sich mit einem Taschentuch über das gerötete Gesicht.
    Einen Augenblick lang trafen sich ihre Blicke, und Clara runzelte überrascht die Stirn. Er kam ihr vage bekannt vor, so als ob sie ihn irgendwo schon einmal gesehen hätte, und sein Blick war …
    Sie öffnete den Mund und wollte etwas sagen, doch er wandte abrupt den Kopf ab und stürzte die Tasse Kaffee in einem Schluck hinunter. Obwohl es warm im Raum war, hatte er seine Handschuhe anbehalten. Er legte ein paar Münzen neben die Tasse und stand so hastig auf, dass er gegen den Tisch stieß. Mit der Jacke in der Hand verließ der Mann fluchtartig das Café.

    Clara, Willi und Rita sahen ihm erstaunt nach.
    »Was hat den denn gebissen?«, wunderte sich Willi und arrangierte sein Besteck und die Serviette sorgfältig auf seinen ratzeputz leergegessenen Teller, bevor er ihn Rita reichte und ihr einen Kuss zuwarf: »Das war die beste Lasagne meines Lebens. Wenn ich jetzt noch deinen göttlichen Espresso bekomme, dann bin ich der glücklichste Mensch auf Erden.« Rita hob die Augenbrauen. » Madonna mia . Was ist denn mit dir passiert? Ist dir das Skifahren mit la bella Linda nicht bekommen, eh?«
    Clara grinste. »Ich frage mich, ob die beiden überhaupt zum Skifahren gekommen sind.«
    Willi sah sie tadelnd an. »Was für Unterstellungen! Jeden Tag, von neun bis vier! Man kann das gut an meiner neuerdings so athletischen Figur erkennen.« Er zog sein kleines Bäuchlein ein und machte ein würdevolles Gesicht.
    Clara tätschelte ihm die Wange: »Das sieht man eher an deiner gesunden Gesichtsfarbe. Sonnencreme gab’s wohl nicht, was?«
    Willi zog es vor, nicht zu antworten.

    Er rannte die Straße hinunter, als seien die Furien hinter ihm her. Erst an der Ecke blieb er stehen und zog sich seine Jacke an. Dann lehnte er sich an die Hausmauer und versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Dieser verdammte Husten. Immer wenn er sich aufregte, musste er husten. Dabei hatte es so gut begonnen. Es war vielleicht etwas leichtsinnig gewesen, einfach so in das Café zu spazieren und sich neben diese Person zu setzen. Aber manchmal musste man solche Risiken eingehen, wenn man weiterkommen wollte. Es hatte sich ja auch ausgezahlt. Er hatte jedes Wort verstehen können, das sie
gesprochen hatten. Er begann erneut zu zittern, als er daran dachte, was diese Anwältin über den Morgenmantel gesagt hatte. Es war schlau von ihr gewesen, auf diese Weise darauf zu schließen, dass es Gruber nicht gewesen sein konnte. Aber es besagte auch, dass Gruber sie nicht eingeweiht hatte. Zumindest nicht vollständig. Sie hatte nicht verstanden, warum das mit dem Morgenmantel hatte SEIN MÜSSEN. Warum hatte Gruber ihr das nicht gesagt?
    Langsam ging er los in Richtung U-Bahn. Er bemühte sich, so unauffällig wie möglich zu gehen, für den Fall, dass sie ihm nachgingen. Er würde vollkommen unschuldig tun, falls sie ihn am Arm packten und anhielten. »Was soll das?«, würde er rufen und die Stirn runzeln. Er überlegte, ob das die richtige Reaktion wäre: Verärgerung. Oder vielleicht war es besser, freundlich zu sein, zu lächeln und zu sagen: »Kann ich Ihnen behilflich sein?« Oder einfach: »Ja bitte?« Er probierte die verschiedenen Varianten aus, sagte sie laut vor sich hin und probte verschiedene Gesten, die dazu passten. Fast stieß er dabei mit einem Idioten zusammen, der mitten auf dem Gehsteig stand und in einer Zeitung blätterte, die er sich gerade aus dem Kasten geholt hatte. »Können Sie nicht aufpassen?«, herrschte er ihn an, mitten in einem seiner Übungssätze unterbrochen, doch der Mann glotzte nur verständnislos. Er schüttelte angewidert den Kopf und ging so rasch weiter, wie er konnte, ohne Aufsehen zu erregen.
    Erst als er die U-Bahn-Station erreicht hatte und niemand ihn am Arm gepackt oder nach ihm gerufen hatte, wagte er es, sich umzudrehen. Weder die Anwältin noch ihr Begleiter waren zu sehen. Diese rothaarige Person löste in ihm noch ein größeres Unbehagen aus, als Gruber es vermocht hatte. Der Kommissar in seiner perfiden Art, ihn an der langen Leine zu halten und trotzdem keinen Moment aus den Augen zu
lassen, war bereits schlimm genug gewesen. Doch jetzt, nachdem er Gruber unmissverständlich klar gemacht hatte, dass er sich zu wehren wusste,

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