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Seelengift

Titel: Seelengift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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wollen.
    Gerlinde Ostmann. Was war sie für ein Mensch gewesen? Was hatte sie für ein Leben geführt? Selbst wenn sie einsam gewesen war, irgendjemanden musste es doch in ihrem Leben gegeben haben, der sie näher gekannt hatte. Nahe genug, um … Oder war es vielleicht ein Überfall eines Fremden gewesen, eine Vergewaltigung? Sie stellte den Aschenbecher auf den
Boden, schob Elises linkes Hinterbein, das sich schon wieder auf ihrem Schoß ausgestreckt hatte, beiseite und stand auf.
    Elise grunzte unwillig. Sie hasste Unruhe, wenn sie sich schlafen gelegt hatte. Vor allem Bewegungen, die ihre diversen Entspannungsstellungen beeinträchtigten, konnte sie nicht ausstehen. Oft genügte eine vorsichtige Änderung in Claras Haltung auf dem Sofa, ein kleines Sich-zurecht-Rutschen, um sie beleidigt aufspringen zu lassen. Doch heute war sie von den Spaziergängen in der unwirtlichen Kälte, die Clara ihr zugemutet hatte, zu erschöpft, um über eine Unmutsbezeugung hinaus noch irgendeine Art von Reaktion zu zeigen. Sie streckte nur ihre langen Vorderbeine ein wenig, als Clara mit der Akte Ostmann zurück aufs Sofa kam, und schnaufte demonstrativ.
    Clara trank einen Schluck von ihrem Bier und blätterte in der Akte. Sie sah sich die Fotos noch einmal an und las den Obduktionsbericht. Außer einem großflächigen Bluterguss in der Nierengegend, der vermutlich von einem Fußtritt stammte, und diversen Abschürfungen, die von dem Sturz die Böschung hinunter herrührten, gab es keine Zeichen von Gewaltanwendung. Der Rechtsmediziner hatte Anzeichen von stattgefundenem Geschlechtsverkehr festgestellt, jedoch keine verwertbaren Sperma- oder Speichelspuren gefunden. Überdies gab es keine typischen Abschürfungen oder Blutergüsse an den Oberschenkelinnenseiten oder den Armen und keinerlei Abwehrverletzungen. Clara klappte die Akte zu. Also war es keine Vergewaltigung gewesen, sondern ein freiwilliges Stelldichein. Aber warum ausgerechnet dort? Mitten im Winter? Gerlinde Ostmann hatte allein gewohnt, war geschieden. Warum waren sie nicht zu ihr nach Hause gefahren, wenn sie miteinander schlafen wollten? Das wäre doch viel gemütlicher gewesen. Clara lächelte unwillkürlich. Vielleicht
hatten sie aber gar keinen gemütlichen Sex gewollt. Vielleicht ging es gerade um das schnelle Vergnügen?
    »Tststs«, machte Clara und nahm noch einen Schluck von ihrem Bier. »So etwas hätte ich dir gar nicht zugetraut, Gerlinde.« Sie überlegte einen Augenblick, ob es ihr Spaß machen würde, mit Mick im Auto, so wie früher, ganz, ganz früher … Doch dann verwarf sie den Gedanken, als sie an Micks Defender dachte.
    Aber wer weiß, vielleicht hatte Gerlinde Ostmann eine Vorliebe für One-Night-Stands mit Unbekannten gehabt? Vielleicht hatte sie übers Internet Bekanntschaften geschlossen? Sie machte sich im Geist eine Notiz »Internet?« und las weiter. Der Todeszeitpunkt wurde auf etwa halb zwei Uhr morgens geschätzt. Da hatte es zu schneien begonnen. Man hatte bei der Leiche einen ungefähren Blutalkoholgehalt von 1,8 Promille zum Todeszeitpunkt festgestellt. Nicht gerade wenig. Sie hatte sich offenbar mit jemandem getroffen und gefeiert, und dann waren sie zusammen dorthin gefahren. Und während sie Sex hatten, bekam Gerlinde Ostmann einen Herzinfarkt. Aber warum hatte der Unbekannte sie einfach hinausgeworfen und keine Hilfe geholt? Weil er verheiratet war? Aber das machte diese doch sehr extreme Reaktion noch nicht wirklich verständlich. Er hätte sie ins Schwabinger Krankenhaus fahren können. Niemand dort hätte es interessiert, ob er verheiratet war oder nicht. Oder aber er war ebenfalls betrunken gewesen. Hätte gar nicht mehr fahren dürfen. Doch auch dann hätte er wenigstens Hilfe rufen können, nachdem er sie dort zurückgelassen hatte. Anonym. Vielleicht war er prominent? Und verheiratet? Und betrunken? Ein trunksüchtiger Politiker mit einer eifersüchtigen Frau? Clara verzog das Gesicht. So einem wäre natürlich alles zuzutrauen. Aber würde sich so jemand ausgerechnet mit einer
Frau wie Gerlinde Ostmann abgeben? Der Buchhalterin einer Firma für Berufskleidung?
    Sie sah sich die Fotos der Toten noch einmal an. Eine eher vollschlanke Frau mit herausgewachsenen, blonden Strähnen und einem unscheinbaren Gesicht mit Doppelkinn. Nein. Das ergab keinen Sinn. Doch irgendetwas musste diesen Unbekannten doch dazu bewogen haben, so gefühllos zu handeln. Was konnte ihn so in Angst und Schrecken versetzt haben, dass er sie, nachdem

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