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Seelengift

Titel: Seelengift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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glauben konnte. Er
hegte ganz offenbar keinen Groll gegen Irmgard, schien in keiner Weise eifersüchtig oder in seinem Stolz verletzt. Und wenn er zur Tatzeit tatsächlich Ski fahren gewesen war, noch dazu mit einer neuen Freundin, dann hatte sich ihr einziger möglicher Verdächtiger neben Walter Gruber gerade in Luft aufgelöst.
    »Wie bitte?« Sie wandte überrascht den Kopf. Gruber hatte irgendetwas zu ihr gesagt, doch sie hatte es nicht mitbekommen. Sie waren inzwischen vor der Kanzlei angekommen.
    »Warum hat sie das nur gemacht?« Gruber starrte aus dem Fenster. »Ich meine, dieser Trottel ist doch auch kein George Clooney, oder?«
    Clara hob die Schultern. »Solche Dinge passieren eben manchmal einfach.«
    Gruber schüttelte den Kopf. »Das ist mir auch klar. Aber warum ausgerechnet der ? Ich kapier’ das nicht.«
    Clara rutschte ein wenig unbehaglich auf dem Sitz hin und her und dachte nach. Nach einer Weile sagte sie vorsichtig: »Vielleicht lag es ganz einfach daran, dass er anders ist? Sie sind sehr … beherrscht, haben Ihre Gefühle unglaublich gut im Griff, vielleicht hat sie nach etwas, ähm, weniger Kontrolliertem gesucht …« Sie verstummte abrupt, als sie Grubers Gesicht sah. Solche Gespräche durfte man nicht führen. Noch nicht einmal unter Freunden und schon gar nicht in dieser Situation. »Wichtig ist doch, dass sie sehr schnell gemerkt hat, dass es ein Fehler war«, beeilte sie sich hinzuzufügen. »Sie haben sich immerhin wieder versöhnt.«
    Gruber nickte langsam. »Ja. Stimmt. Das haben wir.« Er überlegte einen Augenblick, dann fügte er hinzu: »Vielleicht hätte ich dem Trottel doch die Hand geben können.«
    Clara lächelte. »Ja, vielleicht.«
    Als sie bereits ausgestiegen war, rief er ihr noch hinterher:
»Ohne Wimbacher haben wir nichts, nicht wahr? Rein gar nichts.«
    Clara hätte gerne etwas Aufbauendes erwidert, aber es gab nichts, und Gruber, der alles andere als ein Idiot war, wusste dies ebenso gut wie sie. Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Aber wir werden noch etwas finden. Ganz sicher.« Sie sah ihm nach, während er davonfuhr, und wünschte, sie wäre sich dessen tatsächlich so sicher.

ZEHN
    Schon in dem Moment, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte, mit ihrem Hund im Englischen Garten, genau an DER Stelle, hatte er geahnt, dass sie Unheil bringen werde. Aber jetzt, jetzt sah er es. Jetzt wusste er es. Seine Hände zitterten, und er konnte nicht sagen, ob vor Kälte oder vor Aufregung. Ungeschickt zog er sich seine dicken Wollfäustlinge über die dünnen Baumwollhandschuhe, die er wie immer zum Schutz seiner empfindlichen Haut trug. Wieder einmal war sein Gespür richtig gewesen. Er konnte sich dafür beglückwünschen, dass er so feine Antennen hatte.
    Gestern, am Sonntag, an diesem leeren Tag, an dem nichts geschah und nichts getan werden musste, hatte er lange auf seinem Küchenstuhl gesessen und auf dem Akkordeon gespielt. Zwei, drei Stunden waren so vergangen. Er hatte mit einfachen, leichten Walzern und Polkas angefangen und war dann zu den schwierigen Tangos übergegangen. Manche davon waren sehr kompliziert, und er musste einige Stellen geduldig immer wieder spielen, bis sie ihm endlich leicht und ohne Mühe von den Fingern glitten. Dann erst konnte er die Augen schließen und sich von der Musik tragen lassen. Er spielte und spielte, und dann irgendwann kam er zu dem Punkt, an dem die Gedanken in seinem Kopf leichter wurden. Er begann sich leer zu fühlen und rein wie frisch gewaschene Bettwäsche, die in der Sonne trocknet. Weißes Leinen, wie das seiner Mutter, gebleicht und so gestärkt, dass es ein knisterndes
Geräusch gab, wenn man es zusammendrückte, wie festes, glattes Papier. In diesem Zustand konnte er schweben und fühlte sich trotzdem fest mit allem um ihn herum verbunden. Er spürte die kleinen schwarzen Knöpfe der Bässe unter seinen Fingern, das Holz des Küchenstuhls und den festen Boden unter seinen Füßen, glänzend gewischt und poliert. Die Welt war dann in Ordnung, so wie sie zu sein hatte, und er war darin sicher. Hinzu kam, dass an diesem Sonntag die Sonne schien. Deshalb war keiner seiner Nachbarn zu Hause, außer dem schwerhörigen Herrn Leonhard nebenan. Sonst hätte sich womöglich doch wieder jemand beschwert, an die Decke geklopft oder Sturm geklingelt. Manchmal kam das vor. Wenngleich bei weitem nicht mehr so oft in der letzten Zeit. Das lag daran, dass die Mieter oben gewechselt hatten.
    Als die Schnepfe aus der Bank dort noch

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