Seelengift
Zigaretten und den rauchigen Geruch nach Whiskey, und plötzlich war es ihr egal, dass sie nicht mehr hatten reden können. Der Brief und die Bedrohung, die sie den ganzen Abend gespürt hatte, rückten in die Ferne, und sie wusste wieder, warum sie gekommen war: Es war nicht wichtig, jetzt zu reden, und es war auch nicht wichtig, wann er nach Hause kam. Jetzt war er da, und sie konnte ihn spüren. Das reichte ihr. Und endlich schlief sie ein.
SECHZEHN
Am nächsten Morgen verschliefen sie beide. Das heißt, nur bei Clara konnte man es Verschlafen nennen, denn Mick stand in der Regel ohnehin nicht vor zehn, elf Uhr morgens auf. Clara hatte vergessen, den Wecker zu stellen, und es war Elise, die sie mit einem Taps ihrer großen Vorderpfoten mitten auf den Bauch und einem feuchten Schmatz ins Gesicht weckte. Nach einem Blick auf die Uhr sprang Clara aus dem Bett: »Mist!« Es war bereits kurz vor neun. Sie rannte ins Bad, um sich fertigzumachen.
Mick schlief wie ein Toter. Seine Kleidungsstücke lagen in der umgekehrten Reihenfolge, in der er sie gestern ausgezogen hatte, auf dem Boden und bildeten so eine Spur bis ins Bad. Sie überlegte, ob sie ihn wecken sollte, entschied sich aber dagegen. Stattdessen schrieb sie ihm eine kurze Nachricht und legte sie auf den Küchentisch.
In Rekordzeit kam sie in der Kanzlei an und hatte zudem noch Croissants und Butterbrezen für sich, Willi und Linda mitgebracht. »Frühstück!«, rief sie ihnen zu, noch ehe sie ihren Mantel an den Haken gehängt hatte, wild entschlossen, die Unstimmigkeiten der letzten Tage fürs Erste zu ignorieren.
Linda sah überrascht hoch. »Oh«, sagte sie, nichts weiter, und Clara warf ihr einen überraschten Blick zu.
»Habt ihr schon gefrühstückt? Ich dachte an so eine Art kleinen Versöhnungsbrunch …«
Als Linda noch immer keine Antwort gab, fuhr sie fort: »Ich weiß, ich war ein bisschen gereizt in letzter Zeit, das tut mir leid. Das liegt an dem Fall …« Sie verstummte, als Willi herunterkam.
»Liegt es nicht immer an einem Fall, Clara?«, fragte er seufzend.
»Wie meinst du das?«, fragte Clara misstrauisch zurück.
Doch Willi gab keine Antwort. Er sah unbehaglich drein und wechselte einen Blick mit Linda, den Clara nicht deuten konnte.
Ein unangenehmes Gefühl in der Magengegend machte sich bei ihr breit. »Was ist? Kann mir vielleicht jemand erklären, was hier los ist?« Clara versuchte, ihre wachsende Unruhe unter Zorn zu verstecken, und sah mit funkelnden Augen von einem zum anderen: »Ist es so schlimm, dass ihr nicht einmal mehr eine Butterbreze mit mir essen könnt?«
Willi schüttelte den Kopf: »Nein, natürlich nicht. Das ist sogar eine sehr gute Idee.«
Linda sprang wie auf Kommando auf und meinte mit plötzlicher Fröhlichkeit, die mehr als aufgesetzt wirkte: »Ich mache uns gleich mal frischen Kaffee!«
Sie setzten sich an Willis Schreibtisch, den er zu dem Zweck rasch von seinen Bücherstapeln befreit hatte. Keiner der drei hatte den Vorschlag geäußert, nach oben in das Besprechungszimmer zu gehen.
Als Willi eine gesprungene Tasse ohne Henkel als Aschenbecher hinstellte und meinte: »Du kannst ruhig rauchen, wenn du willst, wir müssen uns ja nicht immer an die Regeln halten«, wusste Clara, dass dieses Gespräch schlimm werden würde. Sie schüttelte den Kopf und wartete schweigend.
Willi räusperte sich mehrmals, bevor er zu sprechen begann. »Also, es ist ja nicht so gut gelaufen mit uns in letzter
Zeit, die Stimmung war eher schlecht …« Er brach ab, suchte nach Worten und warf Linda einen hilfesuchenden Blick zu.
Clara beobachtete die beiden und konnte sich keinen rechten Reim darauf machen. Offenbar hatten sie irgendetwas entschieden. Würde Linda gehen? Clara nahm hastig einen Schluck Kaffee. Eigentlich wollte sie nicht, dass Linda ging.
»Hört mal, ich weiß, ich war vielleicht etwas barsch in letzter Zeit …«, begann sie. »Ich muss mich erst einmal daran gewöhnen, dass ihr zusammen seid …«
»Eineinhalb Jahre«, warf Willi ein.
»Was?«
»Wir sind schon seit fast eineinhalb Jahren zusammen.«
»Ach? So lange schon?« Clara hatte einen Augenblick den Faden verloren. »Egal, ich habe nachgedacht, und ich glaube, das wird jetzt schon funktionieren …«
»Clara!«, unterbrach sie Willi beunruhigend sanft. »Ich habe dir gar keinen Vorwurf gemacht.«
»Ach, nicht?« Clara runzelte die Stirn. »Aber worüber reden wir dann?«
Willi rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her.
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