Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Seelengift

Titel: Seelengift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
Vom Netzwerk:
Straße? Sie schüttelte den Kopf. Nein, das war zu nah an der Kneipe, da wäre er sicher einem der Gäste oder Heinz, dem Wirt, irgendwann über den Weg gelaufen. Doch niemand hatte ihn seit jenem Abend mehr gesehen. Clara hatte diese Frage gleich
zu Anfang gestellt, und alle hatten einhellig den Kopf geschüttelt. Sie hatte dem Wirt ihre Visitenkarte dagelassen, für den Fall, dass sich jemand noch an etwas erinnerte oder dass jemand Papa Joke irgendwo sah. Aber es schien so zu sein, als würde der Mann seit jenem Abend die Gegend um die Kneipe meiden, in der er früher Stammgast gewesen war. Was an sich schon sehr verdächtig war und die Annahme erhärtete, dass er mit Gerlinde Ostmanns Tod etwas zu tun hatte. Clara war sich mittlerweile ohnehin sicher, dass es so war. Und sie war sich sicher, dass dieser Mann auch Irmgard Gruber getötet hatte. Es war das Warum, das sie quälte. Was für eine Verbindung gab es zwischen den Taten, außer Walter Gruber? Und wenn der Kommissar die einzige Verbindung war, was für einen Grund konnte es gegeben haben, dessen Frau zu töten? Clara war nach wie vor überzeugt davon, dass die Art und Weise, wie die Leiche abgelegt worden war, eine Botschaft für Gruber beinhaltete. Doch wenn Gruber sie nicht entschlüsseln konnte, wie sollte es dann ihr gelingen?
    »Was willst du von Gruber?«, murmelte sie halblaut vor sich hin, während sie in Richtung U-Bahn ging. »Und was, verdammt noch mal, willst du von mir?«
     
    Sie rief Gruber an, als sie vor dem Murphy’s stand. Er war kurz angebunden und hörbar enttäuscht darüber, dass Clara nicht mehr als Papa Jokes Vornamen herausgefunden hatte. Im Hintergrund war Stimmengemurmel zu hören. Grubers Schwager war nun ebenfalls eingetroffen, und die beiden redeten »seit Stunden« mit ihm über die Beerdigung, wie er Clara knapp erklärte. Sie konnte an seiner Stimme hören, wie sehr er dieses Gespräch verabscheute. Doch als Clara ihm von Sigis Beobachtung berichtete, war er schlagartig hellwach.
    »Handschuhe, sagen Sie?«

    »Ja! Er trägt sie anscheinend ständig. Vielleicht hat er einen Ausschlag oder so etwas.«
    Schweigen auf der anderen Seite der Leitung. Dann sagte Gruber langsam: »Das würde erklären, warum man bei Irmi und im Auto keine Fingerabdrücke gefunden hat. Er musste keine Spuren beseitigen, er hat gar keine hinterlassen.«
    Clara fiel noch etwas ein. »Ich glaube, ich habe erst kürzlich irgendwo jemanden gesehen, der auch Handschuhe trug …«
    »Bei der Witterung ist das ja eigentlich eher normal«, wandte Gruber mit leichtem Spott ein.
    »Nein! Es war eben nicht normal. Es war ungewöhnlich, deshalb ist es mir aufgefallen, aber ich komme nicht drauf, wo es gewesen ist.« Clara zuckte mit den Schultern. »Egal. Vielleicht fällt es mir ja noch ein.«
    Sie wollte sich gerade verabschieden, als Gruber sich plötzlich noch einmal leise zu Wort meldete: »Armin hat sich in sein Zimmer eingeschlossen. Er macht nicht auf. Redet mit niemandem.« Es klang so hilflos, dass Clara das Herz weh tat.
    »Möchten Sie vielleicht noch auf einen Sprung vorbeikommen?«, fragte sie. »Ich bin im Murphy’s, oder wir gehen wo anders hin. Wo man reden kann.«
    Gruber zögerte, doch dann sagte er: »Nein, lieber nicht. Meine Schwägerin reißt mir den Kopf ab, wenn ich jetzt gehe. Aber trotzdem danke.«
    Er legte auf.
     
    Clara blieb noch einen Augenblick vor dem Pub stehen und rauchte eine Zigarette. Sie fühlte sich plötzlich deprimiert und müde. Gruber tat ihr leid. Er hatte nicht einmal Zeit zu trauern, solange dieser Verdacht noch immer drohend über ihm schwebte. Woher sollte er die Kraft nehmen, sich um seinen
Sohn zu kümmern? Sie warf einen Blick durch die Tür, die gerade aufging, und atmete auf. Heute Abend wenigstens schien nicht viel los zu sein. Sie sehnte sich nach einem Glas Whiskey und nach Ruhe. Nicht mehr reden, nicht mehr denken. Einfach nur dasitzen, am Glas nippen und zusehen, wie Mick hinter der Theke stand, mit den Leuten sprach und ab und zu lächelnd zu ihr herübersah. Ihm zusehen, warten, bis die Gäste gingen und er die Stühle hochstellte. Sie mochte seine sicheren, ruhigen Bewegungen, seine schlaksige Gestalt, die Art, wie er das Kinn hob und lachte. Sie streichelte Elise über ihren warmen, knochigen Kopf und ging hinein.

ZWANZIG
    Die Beerdigung war genau so schlimm, wie Clara sie sich vorgestellt hatte. Es waren viele Leute gekommen, darunter trotz der diskreten Todesanzeige eine Menge Neugieriger,

Weitere Kostenlose Bücher