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Seelengift

Titel: Seelengift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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die etwas entfernt von den eigentlichen Trauergästen herumstanden und einen Blick auf das Geschehen zu erhaschen suchten. Ein Mordopfer und einen Kriminalkommissar als Verdächtigen hatte man schließlich nicht jeden Tag. Wer weiß, vielleicht gab es noch einen Skandal? Eine Verhaftung am offenen Grab? Clara entdeckte das rote Gesicht Adolf Wimbachers unter den Trauergästen. Er stand wie sie ganz hinten und hatte einen hochaufgeschossenen, flachshaarigen Jungen neben sich, der den Kopf hängen ließ. In seinem blassen, kindlichen Gesicht leuchteten unzählige Sommersprossen. Das musste Ruben alias Rudi sein.
    Jemand weinte laut und ungeniert, und Clara konnte das Geräusch einer dicken, blonden Frau mit Hut zuordnen, die, von ihrem Mann gestützt, neben Gruber stand. Offenbar Irmgard Grubers Schwester. Gruber und Armin standen wie versteinert da. Keiner der beiden weinte, und Clara schnürte der Anblick der beiden in ihrem Schmerz erstarrten Männer fast das Herz ab. Am liebsten wäre sie hingegangen und hätte sie heftig geschüttelt. Oder in den Arm genommen. Oder beides. Stattdessen blieb sie still stehen und versuchte, der Ansprache des Pfarrers zu folgen. Doch seine Worte erreichten sie nicht. Irmgard Gruber blieb ihr fremd, und das
war nicht einmal die Schuld des Pfarrers, der sich redlich bemühte, die passenden Worte für diese Situation zu finden. Er war jung und fror erbärmlich, seine Lippen waren ganz blau. Wahrscheinlich war Irmgard Gruber das erste Mordopfer, das er beerdigen musste.
    Rechts vom Grab stand eine Abordnung der Polizei, darunter auch Kommissarin Sommer. Ihr blondes kurzgeschnittenes Haar leuchtete in der fahlen Sonne, die hin und wieder durch die unentschlossenen Wolken stach, immer wieder auf. Clara wandte sich ab, als die Gäste anfingen, sich in einer langen, stummen Reihe am Grab zu bekreuzigen und Gruber zu kondolieren. Sie konnte den Anblick von Grubers versteinerter Miene und die Qual, die sich dahinter verbarg, nicht mehr ertragen. Langsam ging sie den Weg zurück zum Ausgang. Sie war dagewesen, Gruber zuliebe, sie hatten sich zu Beginn kurz begrüßt, aber nicht miteinander gesprochen. Heute war kein Raum für Gespräche ihrer Art. Heute ging es nicht darum, einen Mörder zu finden. Auch nicht darum, wie es weitergehen sollte. Heute ging es darum, etwas abzuschließen, so schmerzhaft es auch war. Und Clara hatte keinen Anteil daran. Es war nicht ihr Schmerz, nicht ihr Verlust. Es reichte auch so.
    Ganz automatisch wandte sie sich am Ausgang nach rechts in Richtung Osterwaldstraße. Bei den parkenden Autos unweit des Schwabinger Bachs blieb sie stehen und dachte darüber nach, wie merkwürdig es doch war, dass Irmgard Gruber ausgerechnet hier auf dem Nordfriedhof beerdigt wurde, nur wenige Meter von der Stelle entfernt, an der sie gefunden worden war. Wahrscheinlich wussten die meisten der Trauergäste, die hier ihren Wagen abgestellt hatten, gar nicht, was für eine Bedeutung der Ort hatte. Aber Gruber würde es nie vergessen. Er würde ihn immer und unabwendbar mit jenem
Morgen in Verbindung bringen, als er dort ankam, noch vollkommen ahnungslos …
    Clara ging noch einmal zu der Stelle, an der sie schon einmal gestanden und hinuntergesehen hatte. Eine Böschung wie jede andere, kahles Gestrüpp, kein Hinweis, kein Zeichen, nichts. Sie kletterte vorsichtig hinunter bis zum Bach und versuchte, sich an das Foto in der Akte zu erinnern und den genauen Fundort wiederzufinden, doch es war gar nicht so einfach. Alles sah gleich aus. Dann entdeckte sie ein paar abgebrochene Äste, eine Art niedergedrückte Mulde in einem der dürren Sträucher. Vorsichtig kletterte sie auf dem beinhart gefrorenen, unebenen Boden darauf zu. Ihr fiel ein, dass sie sich beeilen musste, um wieder oben zu sein, bevor die Beerdigung zu Ende war. Es würde keinen guten Eindruck machen, wenn Gruber sie entdeckte, wie sie dort unten herumkroch, während die Trauergäste zu ihren Autos gingen. Sie sah auf die Uhr. Ihr blieben höchstens noch fünf Minuten.
    Jetzt hatte sie den Platz erreicht und betrachtete die abgebrochenen Äste. Natürlich gab es keine Spuren, keine Hinweise, die Polizei hatte alles abgesucht. Im Übrigen war der Täter aller Wahrscheinlichkeit nach ohnehin nie hier unten gewesen. Er hatte Irmgard Grubers Leiche nur hinuntergestoßen. War er danach noch eine Weile stehen geblieben und hatte hinuntergesehen? Was hatte er gedacht, gefühlt?
    Clara hob den Kopf, sah nach oben und zuckte vor

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