SEELENGOLD - Die Chroniken der Akkadier (Gesamtausgabe)
Stimme glich einem heiseren Knurren.
Selene stolperte rückwärts, sichtlich verwirrt von seiner Reaktion.
„Roven, dein Gesicht … deine Zähne …“ Selenes Hand berührte ihre Lippen. „Meine Zunge … blutet. Hast … du …?“
Monster!
„Es tut mir leid! Ich wollte dich nicht verletzen …“
Selene ging rückwärts und verschwand durch die Badezimmertür.
Roven sackte zusammen. Er wusste, wie er aussah – Gesichtsmuskeln angespannt, geisterhafte Iriden und klingenförmige Zähne, die aus seinem Mund hervorstachen. Nur einen Hauch ihres Blutes hatte es gebraucht, um Naham ans Licht zu locken. Die Nuance schwebte noch immer auf seiner Zunge – unvergleichlich.
Selene saß auf der Chaiselongue vor Rovens Schlafgemach und schüttelte den Kopf.
Wie kann ich so etwas wollen?
Die Frage hallte in ihrem Kopf hin und her. Und der Verstand sagte nur immer wieder: Er ist gefährlich!
Ihr Herz hätte Selene den rechten Weg weisen sollen. Doch es führte sie aufs Neue zu ihm. Der Kreatur, die sie ängstigen müsste, es aber nicht tat. Sie scheute es nicht. Das Tier in ihm. Selene wollte es locken und sehen, liebte es, wie Roven sich veränderte, wenn er die Kontrolle verlor. Und, Herr im Himmel , wollte, dass er ihr Blut begehrte. Sich selbst zu belügen hätte ihrem Verstand geholfen. Aber es brachte ihr Herz zum Ertrinken.
Selene hatte bemerkt, dass seine Fänge gewachsen waren. Doch anstatt zurückzuweichen, drängte die Zunge in ihre Richtung und wollte die Schärfe fühlen. Wollte den Schmerz spüren, den physischen, der von all den anderen ablenkte.
Kapitel 13
Jason hatte Roven noch nie kurz vor der Wandlung gesehen.
Als der Akkadier so im Keller auftauchte, hätte man seine Gesichtszüge als angsteinflößend beschreiben können. Jason aber machte sich über andere Dinge Gedanken. Er fragte sich, was seinen Herren in letzter Zeit derart wütend werden ließ – oder wer.
Über Selene hatte er nichts herausfinden können. Die Datenbanken enthielten keinen vergleichbaren Fall. Es blieb also ungeklärt, warum sie sich erinnern konnte.
Roven hatte ihn gebeten, ihr das Zimmer zu zeigen, in dem sie schlafen würde. Es lag gleich neben Rovens – wie er es gewünscht hatte. Seit der Akkadier vor zirka einhundert Jahren nach Schottland zurückgekehrt war und die Burg hatte restaurieren lassen, waren die Räume hier oben bis auf sein eigenes nicht benutzt worden. Aber sie waren komplett möbliert, sodass es kein Problem war, Gäste unterzubringen.
Jason blieb in der Tür stehen, als Selene den Raum betrat. Sie sah sich um, stellte ihre Tasche schließlich auf dem großen Bett ab und setzte sich daneben. Für Jason war dies alles die Realität. Ein Leben ohne Übersinnliches hatte es für ihn nie gegeben. Selene aber wurde mit einer fremden Welt konfrontiert und er konnte sich entfernt ausmalen, was das in ihr auslöste.
Er sagte ihr, sie könne sich wie zu Hause fühlen. Bis ihm der Angriff in ihrer Wohnung wieder einfiel. War vielleicht keine so gute Idee. Mit solchen Kommentaren würde er ihr Unbehagen nicht vertreiben können. Aber die Tatsache, dass Avenstone eine Bibliothek besaß, schien sie aufzumuntern. Wenigstens etwas.
„Selene, ich hab zwar keine Vorstellung davon, wie du dich fühlst. Aber wenn du irgendwas loswerden willst, sag einfach Bescheid.“
Sie dankte ihm mit einem Lächeln.
Jason kehrte zurück in den Keller, zu Roven, der noch immer hin- und hertigerte. Die Wunde auf seiner Brust hatte sich zu einer goldenen Narbe geschlossen, heilte ungewöhnlich schnell.
„Was hat sie gesagt?“, grunzte die Kreatur.
„Naja … ‚Danke’.“
Der Akkadier blieb stehen und knurrte: „Ich gehe auf die Jagd.“ Damit verschwand er.
Jason bemitleidete die Taryk, die Roven heute begegnen würden.
Es musste bereits Mitternacht sein, als Selene durch die spärlich beleuchtete Burg schlich. Sie hatte gebadet und sich etwas Bequemes angezogen, fühlte sich um einiges wohler. Und obwohl ihr Körper zu gern schlafen würde, fand sie keine Ruhe. Zu neu und fremd war alles um sie herum. Wahrscheinlich suchte ihr Herz fortwährend Antworten – auf Fragen, denen Jason nichts entgegnen konnte, weil sie sich letztendlich nur um Selenes Gefühle drehten.
Sie hätte einen guten Zuhörer zu schätzen gewusst, doch der Rufton in Julias Handy war unbeantwortet geblieben. Literatur war Selenes nächster Ablenkversuch. Jede Büchersammlung beherbergte Schätze, die entdeckt werden wollten.
Die
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