SEELENGOLD - Die Chroniken der Akkadier (Gesamtausgabe)
Sonnenaufgang.
Nach einem langen Morgen voll von Gewalt und Tod kehrte Roven nach Avenstone zurück – müde, aber nicht ruhiger. Er hatte unzählige Taryk aufgespürt und vernichtet. Der schwarze Nebel klebte förmlich an ihm und seinen Seelen. Doch das drängende Bedürfnis, der Königin zu zeigen, dass er, koste es, was es wolle, jeden Taryk zur Strafe für Selenes Angriff töten würde, hatte er nicht stillen können.
Der andersartige Seelenreißer war ebenfalls nicht aufgetaucht – vielleicht besser so. Seit dem Kampf belastete Roven dieses unruhige Gefühl. Es handelte sich nicht um Angst, denn den Tod fürchtete er nicht, sondern um eine Art Respekt, vermischt mit der Ungewissheit, wie der nächste Kampf ausgehen würde. Denn wenn er verlor … und starb, gefährdete er auch das menschliche Wesen, dem er Zuflucht gewährte.
Bring sie nie wieder in Gefahr!
Roven trug eine Verantwortung, solange Selene bei ihm war. Er kämpfte nicht länger nur für sich allein. Dessen musste er sich bewusst werden.
Die Rollläden fuhren für den Tag hinunter und sperrten die Sonne aus. Das Kribbeln in seinem Körper begann. Es summte deutlicher als sonst, vibrierte durch die Knochen und schickte ihn die Treppe hinauf. Tagsüber war die Bestie immer wacher. Diese Zeit gehörte ihr und jedes Mal musste Roven sie erneut daran erinnern, dass er die Kontrolle über seinen Körper besaß. Manchmal akzeptierte Naham es schnell. Manchmal kämpfte sie den ganzen Tag gegen ihn an.
Heute war es wieder soweit. Das versicherte sie ihm schon jetzt.
Roven kam vor Selenes Zimmer zum Stehen. Die Bestie lauschte in den Raum hinein, wollte ihren Atem und den Puls hören. Doch sie war nicht da. Naham knurrte, duldete Selenes Abwesenheit nur ungern und war versucht, die Frau auf der Stelle heranzubrüllen. Roven aber hielt sein Tier zurück und verwehrte es ihm, einen Anspruch zu erheben. Stattdessen zwang er seine Beine weiterzugehen. Schweig! Einzig ihre Sicherheit zählt. Und dass Selene sich auf Avenstone befand, konnte er spüren. Alles andere hätte Roven den letzten Schimmer an Beherrschung gekostet.
Dennoch wünschte er sie in seiner Nähe, vorzugsweise in seinen Armen. Je mehr Selene sich entfernte, desto schlechter ging es ihm und desto nervöser wurde er. Wohin sollte das führen?! Er musste schlafen, nicht mit ihr, sondern allein. Natürlich! Der Gedanke war absurd – verlockend, aber falsch.
Nach der Dusche prüfte er Selenes Anwesenheit erneut – nichts.
Es nagte an ihm, kratzte an seiner Vernunft. Roven zog sich eine Jogginghose über und teleportierte sich in den Keller. Jason döste mit dem Kopf auf der Tastatur und schnarchte friedlich. Hier war sie also nicht.
Roven suchte weiter und fand sie schließlich in der Bibliothek. Wie ein Engel schlief Selene auf einem der Sessel. Das Buch der Götter, quasi die Bibel der Akkadier, ruhte auf ihrer Brust, hob und senkte sich zusammen mit ihrem Atem. Rovens Blick wanderte über den flachen Bauch hinunter zu Selenes Schoß. Seine Sinne schärften sich und nahmen den Duft ihrer Weiblichkeit auf. Wie gern er sich zwischen ihren Lippen verlieren würde.
Roven löschte das Licht und ging auf sie zu. Er würde sie nicht wecken.
Das Buch legte er beiseite, schob die Arme behutsam unter ihren federleichten Körper und hob sie hoch an seine Brust. Selene kuschelte sich an ihn und stieß einen wohligen Seufzer aus.
Als er sie nach oben trug, bemerkte er, wie viel Wärme sie ausstrahlte. Bei ihrer ersten Begegnung im Wald war ihr Körper trotz der Anstrengung durch den Sport so kühl gewesen. Als würde ein innerer Dämon sie ihres Lebens berauben. Doch Selenes Zustand hatte sich verbessert, seitdem sie nach Avenstone gekommen war. Ihr Körper erlangte seine gewohnte Temperatur zurück. Und wenn Roven sich ihr näherte, schien sie manchmal sogar zu leuchten – innerlich.
Sie flüsterte im Schlaf, träumte. Er musste an das fürchterliche Trugbild des letzten Tages denken, an den Sarg und Selenes Worte. Roven träumte nie wahllos. Die Bilder, die er sah, hatten immer eine Bedeutung. Er hoffte, dass der Sarg auf ihr Koma zurückzuführen war und sich nicht auf die Zukunft bezog.
Das Wasser hatte Körpertemperatur und streichelte über ihren Leib hinweg, liebkoste alle Zellen ihrer Haut. Selene schwamm in einem See aus Gold, der sich in einem nebelverhangenen Waldstück befand. Die Bäume ringsherum vibrierten in zartbunten Farben.
Sie näherte sich dem Ufer mit jedem
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