SEELENGOLD - Die Chroniken der Akkadier (Gesamtausgabe)
Bibliothek befand sich rechts neben der großen Treppe.
Selene betrat einen dunklen Raum. Nur das durch die Fenster eindringende Mondlicht verlieh den Mobiliaroberflächen einen hellen Schimmer. Rechts an der Wand fand sie einen Lichtschalter.
Die Beleuchtung offenbarte Hunderte von Büchern, die deckenhohe Regale an jeder Wand füllten. Während Selene durch die Reihen ging, entdeckte sie Klassiker, antikes Schriftgut sowie moderne Lektüre. Doch besonders die abgegriffenen Umschläge weckten ihr Interesse.
Sie stieg eine Leiter hinauf und spähte in das Fach mit schottischen Altwerken – ein Buchrücken mit dem Titel ‚Die Seeschlacht bei Largs’ erregte Selenes Aufmerksamkeit. Mit dem antiken Werk in der Hand ließ sie sich auf einem der samtroten Sessel nieder.
Vorsichtig blätterte sie die hauchdünnen Bögen des Buches auf und versuchte, die altschottische Schrift zu lesen – ohne Erfolg. Doch es gab handschriftliche Randvermerke, die scheinbar auf Fehler in der geschichtlichen Darstellung hinwiesen – als wäre der Verfasser der Notizen vor Ort gewesen und könnte die einzelnen Geschehnisse minuziös nacherzählen. Selene schaute auf die Jahreszahl der Schlacht und rechnete zurück. Wenn sie mit der Vermutung richtig lag, wäre Roven mindestens siebenhundertsiebenundvierzig Jahre alt.
Das Bildnis eines schottischen Kriegers entstand vor ihrem geistigen Auge und Selene fragte sich, wie er zu einem Akkadier geworden war. Vielleicht erzählte Roven seine Geschichte eines Tages. Sie hoffte es. Diese verschwiegene Art, die er an sich hatte, reizte Selene zwar. Aber sie wünschte sich, dass er ihr gegenüber mehr Vertrauen fassen würde.
Sie stellte das Buch zurück ins Regal und suchte weiter. Leider gab es keinerlei Niederschriften über Akkadier. Plötzlich erschien ein Licht hinter ihr. Selene drehte sich herum und entdeckte ein Buch – es stand im Schrank gegenüber zwischen all den anderen. Und es leuchtete.
Der tibetische Dynast bewegte sich mit einer Geschwindigkeit fort, die menschliche Augen nicht wahrnehmen konnten. Allerdings gab es in der größten Sandwüste der Welt kaum Sterbliche, die davon hätten Zeuge werden können.
Von Riad aus legte Ju die Entfernung zu Jafars Unterkunft zu Fuß zurück. Nachts fielen die Temperaturen in der Wüste fast auf null Grad. Doch ein Akkadier, der die Winter Tibets gewohnt war, empfand es noch immer als zu warm. Dass er seine Kräfte einsetzte, trieb das Blut in Jus Venen zusätzlich an.
Soweit er den Datenbanken glauben konnte, musste Jafar eine Behausung inmitten der Rub al-Chali Wüste besitzen – wahrscheinlich ebenso verborgen wie der Tempel in Tibet oder Rovens Burg, aber für einen Bruder nicht schwer zu finden.
Bruder – diesen Ausdruck würde er am liebsten aus seinem Wortschatz streichen. Roven verhielt sich unangemessen. Sein Wutausbruch beunruhigte Ju und er fragte sich, was ihn in Avenstone bei der Rückkehr erwartete.
In letzter Zeit empfand der Tibeter Diriri als die einzige Akkadia, die ihm ebenbürtig war. Sie achtete ihre Aufgabe und wusste das Geschenk der Unsterblichkeit zu schätzen. Kinder Tibets lernten das Leben zu damaliger Zeit von einer anderen Seite kennen. Solche Erfahrungen formten sie auf eine Art und Weise, die Außenstehende nur schwer nachvollziehen konnten.
Damals in Peru hatte Ju die Akkadia wiedergefunden und sie mit sich nach Tibet genommen. Sie lebten gemeinsam in seinem Tempel und führten diese Symbiose nun seit über einem Jahrhundert. Und doch hatte Ju sich nie an diese Situation gewöhnen können. Es glich einer Abhängigkeit. Aber die Vorteile akkadischen Blutes lagen klar auf der Hand. Es steigerte die Kräfte in ausgeprägtem Maße, ohne dass man sich mit Sterblichen auseinandersetzen musste.
Der Tibeter spürte ihre Macht noch immer wie ein Fieber in sich kochen. Aber von derartigen Gefühlen durfte er sich – besonders heute – nicht ablenken lassen. Jafar würde eine Herausforderung werden, wenngleich dieser Akkadier seine Kräfte in eine völlig andere Richtung entwickelt hatte. Er trug die Bestie so nah unter der Haut, wie Ju es bei keinem anderen je bemerkt hatte, und würde die benötigten Informationen wahrscheinlich nicht freiwillig preisgeben – auch wenn er zur Hilfe verpflichtet war.
Ju strebte in die Nacht hinaus und wirbelte Sandstürme hinter sich auf, ohne ihnen Beachtung zu schenken. Er musste sich beeilen. Je weiter er Richtung Osten rannte, desto näher rückte auch der
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