SEELENGOLD - Die Chroniken der Akkadier (Gesamtausgabe)
ausdruckslose Miene des Tibeters, unfähig, die sibirische Kälte in der Zelle zu ignorieren.
„Was hast du gerade gemacht?“ Sein Atem bildete eine helle Wolke in der Luft.
Der Mönch starrte auf Jafar hinab.
„Es ist wie … Winterschlaf. Bei Kälte ist es leichter, eine Bestie zu beruhigen“, gab er tonlos von sich.
Natürlich. In einer kalten Umgebung war es immer schwieriger, sich zu verwandeln. Eine akkadische Seele neigte zu Trägheit und Unlust, wenn die Luft zu stark abkühlte. Roven hatte den Tibeter für überheblich gehalten. Doch die Kräfte, die er besaß, waren beeindruckend.
Ju erhob sich, verließ die Zelle und drehte sich noch einmal um.
„Er wird noch eine Stunde benommen sein. Dann sollte es ihm besser gehen. Hoffe ich.“
Roven blickte auf Jafar. Seine Augen standen offen. Doch ihr Innerstes schien leer. Die Bestie schlief. Vorerst.
Im Hochland Islands kauerte der Bote der Tarykkönigin am Boden und versuchte, den Lärm des akkadischen Gebärwesens zu vergessen.
Ihre Schreie während der Geburt hatten wie tausend Klingen in sein Fleisch geschnitten, den Sehnerv gelähmt und den Verstand betäubt. Er war erschüttert von ihrem Leid, von den Entsetzlichkeiten, die seine Königin Assora zu Tage führte. Von der Abart, die sie erschaffen hatte.
Ein zweites Halbblut war zur Welt gekommen. Und die gefangene Akkadia hatte das Bewusstsein verloren. Um den Säugling würde sich die Königin höchst persönlich kümmern, wie es auch bei dem Erstgeborenen geschehen war. Diese kleinen Monster ertrugen Assoras Nähe wesentlich besser, als es jeder Nachkomme ihres eigenen Fleisches tat.
Der Taryk spürte seine innere Zersetzung voranschreiten. Er konnte maximal noch ein paar Tage durchhalten. Dann hätte die Essenz der Königin ihn komplett verzehrt und er würde zu Staub zerfallen. Sein kurzes, schmerzerfülltes Dasein wäre überstanden, ohne wirklich etwas geleistet zu haben.
Das war … eine äußerst unbefriedigende Vorstellung.
Ein Schmerz durchfuhr ihn. Assora ahnte seinen Ungehorsam, hatte die Bilder seines Verdrusses in sich selbst gesehen, weil sie ihr wie üblich übermittelt worden waren. Doch was machte das schon für einen Unterschied? Schmerzen und unerträgliches Leid spürte er so oder so jeden Tag. Wie wollte sie sein Dasein noch verschlimmern? Unmöglich.
Er gewann sein Augenlicht zurück und betrachtete die komatöse Unsterbliche in der Zelle vor ihm. Ihr blutrotes Haar hing zerzaust ins Gesicht. Dieses war von tiefen Falten und etlichen Wunden entstellt. Der schmale Körper zuckte selbst jetzt noch, obwohl die Akkadia nicht bei Bewusstsein war.
Eine goldene Blutlache umgab sie und hatte auch den Rest ihrer Kleidung durchtränkt, der graue Steinboden glitzerte überall um sie herum, genauso wie die Wände des Kerkers – überall Blut.
Sachlich betrachtet könnte man die Unsterbliche in ihrem momentanen Zustand als schön bezeichnen. Ja, mit ihrem Blut außerhalb des Körpers wirkte sie irgendwie schön. Doch Schönheit gab es im Leben eines Taryk nicht. Seelen und Völlerei, Fresssucht und Tod beherrschten sein Verhalten als Nachkomme Nergals. Es waren tolle Lebensziele.
Wenn man denn die Aussicht auf etwas wie Leben hatte.
Selene bemühte sich, ihre Gefühle unter Kontrolle zu bekommen.
Sie würde bleiben … Gott sei Dank!
Wie er sich das vorstellte, wusste Selene nicht. Aber sie hatte sich für ihn entschieden und allein das nahm die schwere Last von ihrem Herzen. Sie musste lächeln, die ganze Zeit über, bekam dieses Grinsen einfach nicht mehr weg.
Jason saß mit auf- und abwippenden Beinen auf einem der Stühle, das Gesicht noch immer kreidebleich. Jafars Brüllen hatte die ganze Burg erschüttert. Unglaublich, was für eine Kraft in diesen Männern steckte.
„Alles okay?“, fragte sie den Jungen.
„Hmm?“ Er hob seinen Kopf und sah sie an, als hätte sie etwas völlig Absurdes gesagt. „Ja … Ja, war ja nichts … Hast du Jafar schon kennengelernt?“ Selene verneinte. „Sei froh. Mit dem stimmt ‘was nicht. Der ist echt gruselig!“ Jason schüttelte benommen den Kopf, war in Gedanken versunken. Er tat ihr leid.
„Vielleicht hat er sich ja eine … Kralle eingerissen“, murmelte Selene. „So ’was ist echt ärgerlich.“
Jason fing an zu grinsen.
„Ja. Kannst ihm ja deine Nagelfeile ausborgen“, scherzte er.
Schon besser.
Selene fragte sich, ob er so etwas wohl öfter erlebte.
„Ist es schwierig? Das Zusammenleben mit
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