SEELENGOLD - Die Chroniken der Akkadier (Gesamtausgabe)
Sicherheit bringen.
Ein animalischer Schrei donnerte hinter ihr her und fegte über ihren Kopf hinweg. Sie warf einen flüchtigen Blick nach hinten. Aber die Straße war leer. Beim zweiten Brüllen gefror ihr das Blut in den Adern. Und dann ließ es plötzlich nach, das Adrenalin. Nahm ihr den Ansporn und ersetzte Angst durch Stille. Die Wohnung kam in Sicht und die Bilder der vergangenen Minuten wurden schwächer. In Selenes Kopf schien auf einmal etwas zu fehlen. Als hätte jemand Erinnerungen gelöscht. Sie verlangsamte das Tempo und kam vor ihrer Haustür zum Stehen, völlig außer Atem. Ihre Beine zitterten.
Wovor bin ich weggerannt? Selene drehte sich im Kreis und starrte in die Dunkelheit. Dort gab es nichts. Ihr Kopf dröhnte und sie wollte ihn abstützen, doch an ihren Händen klebte Erde. War sie gefallen?
Selene versuchte sich zu besinnen, rekapitulierte die vergangenen Minuten. Doch da war nichts mehr – keine Bilder, keine Erinnerung.
Vier Taryk, die wie aus dem Nichts aufgetaucht waren, umzingelten den Akkadier und sehnten einen Kampf herbei. Roven war vollkommen unvorbereitet von einer Klinge in den Oberarm getroffen worden und hatte wutentbrannt aufgebrüllt. War er denn so abgelenkt gewesen, dass er nicht einmal seine Feinde wahrnahm? Peinlich!
Der Akkadier hatte sein Breitschwert aus der Scheide gezogen und sich in Kampfposition gebracht. Die Taryk warteten auf eine Reaktion. Warmes Blut lief Rovens Arm hinunter. Dessen ungeachtet betrachtete er seine Feinde mit Geduld.
Äußerlich wirkte ein Taryk nicht annähernd so gefährlich, wie er in Wirklichkeit war. Der Körper solch eines Seelenreißers erschien nahezu menschlich. Sie bewegten sich gewandt und nutzten die Fähigkeit des Nral , um ihre Opfer zu täuschen. Damit war es für einen Sterblichen so gut wie unmöglich, einen Taryk als böse Kreatur zu identifizieren. Roven aber wusste, wie sie wirklich aussahen. Bei ihm nutzte die Tarnung nichts.
Die meisten trugen langes, dunkles Haar, das sich gespenstisch hin- und herbewegte, auch wenn sie stillstanden und kein Wind die Luft in Unruhe versetzte. Ihre Haut wirkte dunkelgrau. In den Fratzen stachen schwarze Iriskreise hervor. Eine rauchige Aura waberte um ihren Körper herum und hätte als Warnung gedient, wenn die Opfer sie nur sehen könnten. Taryk waren durchweg männlichen Geschlechts. Sie wurden von Königinnen geboren und angeführt. Roven hatte in seinem langen Leben bereits mehrere dieser Monster erlebt, auch wenn er sich nur schemenhaft an die Begegnungen erinnern konnte. Denn in der Nähe einer Königin würde sich ein Akkadier immer wandeln. Naham erlangte die Kontrolle über den Körper – so wie es das Schicksal vorgesehen hatte.
Wenn man Opfer eines Seelenreißers wurde, war dies gleichzusetzen mit einem schmerzhaften Tod. Sofern man denn starb. Taryk stahlen die Seele ihrer Opfer und damit alles, was die Persönlichkeit eines Menschen ausmachte. Es gab aber auch Wenige, deren Körper sich über diesen Verlust hinwegsetzten und weiterarbeiteten. Doch was für ein Leben hatte eine Hülle ohne Verstand? Und welche Leiden mussten erst die Menschen ertragen, die einst Liebe für diese Hülle empfunden hatten?
Die vier Knaben hier vor ihm waren einfache Söldner. Sie besaßen nicht viel Grips und würden leicht zu töten sein. Selbst Dämonen konnten ohne Kopf nicht existieren. Begierig grinsten sie ihn an, schienen sich auf ihr Ende zu freuen. Roven wunderte sich jedes Mal darüber, dass Taryk ernsthaft glaubten, gegen einen erfahrenen Akkadier wie ihn eine Chance zu haben. Lächerlich! Er hatte in so vielen Schlachten gekämpft, dass er sie kaum zu zählen vermochte.
Mit lautem Gebrüll stürzte er sich auf seine Feinde. Das Breitschwert krachte gegen die schmale Klinge des ersten Hänflings. Beim zweiten Hieb konnte dieser nicht schnell genug parieren und verlor seinen Kopf, der sich zusammen mit dem Rest des Körpers in schwarzen Rauch auflöste. Helle Funken stachen aus der Mitte hervor. Es waren die Seelen seiner Opfer, Reste vieler Geister, derer er sich einst bemächtigt hatte. Viel zu selten erwischte Roven einen jungfräulichen Taryk.
Der Akkadier fuhr herum und wehrte den Angriff der zwei anderen mit einem donnernden Schlag ab. Dem Einen wurde das Schwert aus der Hand geschlagen. Der junge Seelenreißer starrte ungläubig hinterher und erduldete Rovens Klinge, die mühelos durch seinen Hals glitt. Der Zweite machte einen Sprung zur Seite und ging in die Hocke. Er
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