SEELENGOLD - Die Chroniken der Akkadier (Gesamtausgabe)
ich irgendetwas gefunden habe.“
„Mhm, das kann dauern.“
„Dann sollte ich nicht länger warten.“
„Vergiss dein Küchenmesser nicht!“ Jason spielte auf Rovens gewaltiges Breitschwert an. Er trug es auf seinem Rücken, wann immer er Avenstone verließ. Der Junge hatte einmal versucht, es anzuheben – ohne Erfolg.
„Ich melde mich, wenn ich etwas brauche.“
„Alles klar, Großer. Viel Spaß und … pass auf dich auf!“
„Fang nicht an zu heulen!“, rief der Akkadier beim Verlassen des Kellers.
„Blödmann!“, hörte er Jason hinter sich lachen.
Im Schlafgemach zog Roven die Kampfmontur an. Neben dem Schwert in der Rückenscheide trug er noch zwei Messer vor der Brust. Er prüfte alles. Jahrhunderte hatten ihn gelehrt, nicht unvorsichtig zu sein. Keine Fehler! Die Taryk, die seinen Bruder entführt hatten, würden sich warm anziehen müssen.
An diesem Abend lastete die Zeit schwer auf Rovens Schultern. Die Suche nach seinem Bruder war eine Abwechslung, aber keine willkommene. Jede Nacht dasselbe Spiel. Aus irgendeinem Grund nervte ihn das heute.
Er schloss die Augen. Konzentration! London … London … London … Rovens Körper wurde schwerelos. Goldener Nebel trübte seinen Blick, bis er verschwand.
Selene starrte an die Decke – unfähig, sich zu bewegen. Der Schock hatte sie gelähmt. Sie fühlte ihren Puls durch den Körper jagen, als ob er ihr zeigen wollte, dass sie von Kopf bis Fuß panisch war. Ihr Blick flackerte hin und her. Erst nach und nach erkannte sie, dass sie in ihrem Wohnzimmer lag. Hier gab es kein Blut – nichts, worin sie ertrinken konnte. Selene zwang sich, die angehaltene Luft auszustoßen, schenkte ihren Augen aber keine Ruhe. Doch die Umgebung blieb, wie sie war. Nichts rührte sich, hier lauerten keine Gefahren.
Nachdem Selene eingeatmet hatte, fühlte sich ihr Körper langsam wieder lebendig an. Der Sauerstoff half, lockerte die versteiften Glieder und gab ihr die Kraft, sich aufzurichten. Sie brauchte dringend frische Luft und konnte nicht länger allein in dieser Wohnung bleiben, musste hier raus.
Benommen erhob sich Selene von der Couch und stieg die Treppen zum Schlafzimmer hinauf. Die Sportsachen lagen im Schrank, warteten auf Verwendung. Sie zog sich um, befestigte die Mikro-Kopfhörer in ihren Ohren und startete den MP3-Player. Der grollende Bass von David Guettas „If we ever“ dröhnte in ihren Ohren und vertrieb die Stille. Vibrationen durchströmten ihren Körper, bis das Herz endlich wieder gleichmäßig schlug. Besser!
Selenes Wohnung lag in der Pattison Road , nahe dem Hampstead Heath Park. Sie verließ die menschenleere Straße im Laufschritt und steuerte auf den Wald zu. Sie joggte nicht – sie rannte, vielleicht auch davon. Selene wusste nur, dass sie ihren Körper überanstrengen wollte, damit das Adrenalin alle Gedanken und vor allem die Erinnerungen fernhielt.
Gehetzt passierte Selene den Waldeingang und jagte durch die Finsternis. Der kalte Wind zerrte an ihren Sachen, reizte die Haut und brachte ihre Augen zum Tränen. Ihr Gesicht brannte vor Erschöpfung, doch sie dachte nicht daran, langsamer zu werden. Die Lungen pumpten unaufhörlich Luft. Selenes Atemwege verengten sich und versorgten das Gehirn mit weniger Sauerstoff. Sie fühlte eine leichte Benommenheit, rannte wie in Trance. Nicht langsamer werden! Der Weg führte tiefer in den Wald hinein. Rechts und links zogen Bäume an ihr vorbei, die zu dieser Tageszeit schwarz und knöchern erschienen. Selene nahm die nächste Kurve zu eng, Gestrüpp zerkratzte ihren Arm und hinterließ eine Schramme. Doch das spielte keine Rolle. Der Vollmond erstrahlte über ihr und lockte sie tiefer ins Dickicht. Sie rannte unaufhörlich und hob ihren Kopf, um den Schein in sich aufzunehmen. Irrsinnig, aber aus irgendeinem Grund wirkte das Mondlicht wärmer auf Selene, als es die Sonne je getan hatte.
Sie schloss die Augen für den Bruchteil einer Sekunde und prallte plötzlich mit voller Wucht gegen irgendetwas, das vorher garantiert noch nicht an dieser Stelle gewesen war. Selene fiel rückwärts, ihr Kopf schlug auf dem Waldboden auf. Sie rang nach Luft und musste ein paar Mal blinzeln, bis die Schwärze vor ihren Augen verschwand.
Als sie erkannte, was sich vor ihr befand, erstarrte Selene in ihrem Taumel. Etwas Riesiges. Etwas Dunkles. Ein Berg von einem Mann. Schwarz gekleidet und unverhältnismäßig groß ragte er über ihr auf und verdeckte den Mond hinter sich. Seine Mimik konnte
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