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Seelenhüter

Seelenhüter

Titel: Seelenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Whitcomb
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beim Gehen,
    Er tanzte für Brot und Wasser.
    Dann, eines Nacht, im Licht des Vollmonds,
    Tanzte er für Neptuns Tochter.
    Calder half Ana, Arme, Gesicht und Hals zu trocknen, tupfte ihre empfindliche Haut ab. Sie gab keinen Laut von sich, doch sie entspannte sich erst, als er ihre Haut wieder mit Puder bedeckt hatte. Danach legte er ihr die trockene Decke um die Schultern.
    Calder sah nichts außer ihren Augen, in denen eine Schwere lag, so stark und natürlich wie die Erdanziehungskraft, die ihn unweigerlich anzog. Weil er noch immer vollkommen durchnässt war, berührte er sie nicht.
    Sie nahm die feuchte Decke und trocknete ihr Haar, als Alexis plötzlich zu sprechen begann. Er redete im Schlaf, schnappte nach Luft und flüsterte: »Sie wissen es. Sie kommen jetzt!«
    »Wir haben Gesellschaft!«, schrie Luke von oben.
    Tomas sprang die Treppen hinunter und scheuchte Ana und Calder in ihren Sarg. »Rein da.«
    Alexis wachte nicht auf, als der Deckel über ihm zugenagelt wurde. Calder fürchtete, seine feuchte Kleidung könnte den Puder von Anas Haut waschen, doch sie zog ihn dicht an sich, während Tomas den Deckel verschloss. Sie horchten, als Fremde an Bord der
Comhartha
kamen, es war unklar, ob Militärs oder Zivilisten, auf jeden Fall waren es zu Calders unendlicher Erleichterung reale Menschen.
    Ana bewegte sich neben ihm, barg ihr Gesicht unter seinem Kinn. Statt Angst fühlte er nur tiefen Frieden. Was für eine süße und gleichzeitig unheimliche Zuflucht, dachte er, sich im Dunkeln zu verstecken und Ana im Arm zu halten. Es war ein Sarg, kein Hochzeitsbett, doch für eine kurze Zeit gehörte es nur ihnen.
    »Wie hätte ich dich nur je wiedergefunden«, flüsterte sie, »wenn du im Meer untergegangen wärst?«
    Er blieb ihr eine Antwort schuldig, da er Stimmen und das Geräusch eines anderen Schiffsrumpfes hörte, der gegen die
Comhartha
stieß. Er legte ihr nur die Hand auf die Wange, den Daumen auf ihren Lippen, und horchte. Einer der Fischer bediente sich der alten List und hatte ein kleines totes Tier mitgebracht. Der Laderaum stank nach Fäulnis, als jemand die Stufen hinuntergestapft kam und schnell wieder nach oben verschwand, ohne einen Sarg geöffnet zu haben.
    Am liebsten hätte Calder wie ein verliebter Trottel Ana ins Ohr geflüstert: »Danke, dass es dir etwas ausgemacht hätte, wenn du mich verloren hättest.« Aber er schwieg. Und schon viel zu bald begann Tomas die Nägel vom Sargdeckel zu lösen. Weder er noch seine Cousins wollten Calder erzählen, ob es Deutsche oder Alliierte gewesen waren.
    Tomas schüttelte den Kopf, als er ihnen aus dem Sarg heraushalf. »Bringt nur Unglück, die Geschichte zu wiederholen«, sagte er. »Besser nicht fragen.«
    An Deck blickte Calder in die Richtung, aus der sie gekommen waren, und sah kein anderes Boot, nur am Horizont hing eine dicke schwarze Wolke drohend über dem Wasser.
    »Haben wir es abgehängt?«, fragte er Tomas. Alle drei Männer suchten den Horizont ab.
    »Was abgehängt?«, fragte Luke.
    »Das schlechte Wetter.«
    Calder wusste, dass sich da kein irdischer Sturm hinter ihnen zusammenbraute. Er wusste, dass Nagorny die Verlorenen nicht ewig abhalten konnte, doch er hatte gehofft, es bis nach Jekaterinburg zu schaffen, bevor der Geistersturm sie einholte. Er hatte die erste Aufgabe erfüllt: Er hatte einer verlorenen Seele geholfen, in den Himmel aufzusteigen. Doch er musste immer noch die Kinder retten.
    * * *
    Einmal legten sie in einem Hafen mit Backsteinhäusern mit weißen Holzläden und schwarzen Steinkaminen an – alle Boote dort waren so klein wie die
Comhartha.
Alexis wachte kurz auf und wollte in die Stadt gehen, doch Calder wusste, dass man ihnen wieder folgte, und bat die Kinder, sich zu verstecken, während Tomas und Finn an Land gingen, um Wasser und Proviant zu kaufen.
    Calder stand neben den Särgen, in denen die Kinder blass und müde saßen. Als er die Männer zurückkommen hörte, ging er an Deck. Der Himmel im Osten war klar und blau, doch im Westen bedeckte Schwärze den Horizont. Eine schwarze Wolke, so hoch wie ein Berg, war erschreckend genug, aber noch viel furchteinflößender war, was sie mit sich brachte. Auf der Wasseroberfläche gingen zwei Truppen von je zwanzig verlorenen Seelen, als wäre sie eine grüne Wiese. Dicht unter der Oberfläche schwammen knapp hundert mehr, die blass und grünlich im dunklen Wasser glänzten.

33.
    P robleme?«, fragte Tomas.
    Der Seelenhüter wollte ihn nicht anlügen. Die

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