Seelenhüter
Jungen bemalten eine Engelsstatue und stritten sich dabei um ein Mädchen, zwei Japaner – ein Mann und eine Frau – hängten Kostüme auf einen Kleiderständer, eine junge Frau sprach Spanisch mit ihrem Freund, während sie Sättel aus einem der Gebäude trugen. Auch wenn alles sehr hektisch und verwirrend wirkte, bemerkte Calder eine gewisse Aufregung in dem Gewühl, als ob das Drehen von Filmen eine neue Art Gold sei, die es auszugraben und schnellstmöglich zu verkaufen galt.
Schließlich sprach er eine junge Frau an, die einen Packen dünner Manuskripte und eine Wasserflasche trug. »Könnten Sie uns vielleicht helfen?«, fragte er höflich.
»Ich weiß nicht«, antwortete die Frau. »Was möchten Sie denn?«
»Wir suchen jemanden …« Calder zögerte, da er sich nicht an den Namen von Iljas Cousin erinnerte.
»Sascha Bogrow«, sagte Ana rasch. Sie wirkte so nervös, dass Calder Angst hatte, sie könnte in Ohnmacht fallen. Alexis hielt ihre Hand, auch wenn es ihm peinlich zu sein schien, sich zu dieser Trostbekundung herablassen zu müssen.
»Ja, wir suchen Sascha Bogrow«, sagte der Seelenhüter. »Er ist ein Landschaftsmaler.«
»Benny!«, rief das Mädchen. Ein glatzköpfiger Mann mit einer unangezündeten Zigarette hinter dem Ohr, der gerade eine Frau in einer Krankenschwesternuniform überprüfte, sah auf. »Kennst du einen Sascha Bogrow?«
Der Mann schüttelte den Kopf, doch die Krankenschwester sagte: »Den Russen? Er wird Sam genannt.«
»Wissen Sie, wo wir Sam finden können?«, fragte Calder.
Die Frau zuckte mit den Schultern. »Heute habe ich ihn noch nicht gesehen, aber er wohnt in Hank’s Town.«
Sie zeichnete eine grobe Karte auf ein Stück einer braunen Papiertüte. Alexis beobachtete zwei junge Männer, die Seilkunststücke übten, indem sie eine Schlinge über dem Boden rotieren ließen und hindurchsprangen.
Die Frau wünschte ihnen viel Glück und verabschiedete sich. Ana starrte wie hypnotisiert auf das Stück Papier in ihrer Hand.
»Geht es dir gut?«, fragte Calder.
»Ich habe Angst«, antwortete sie, und er erkannte, dass es ihr überhaupt nicht gutging. Er suchte einen Platz im Schatten für sie und breitete seinen Mantel auf dem Boden aus. Sie setzten sich nebeneinander, und Ana atmete mehrmals tief ein und aus.
»Was macht dir Angst?«, fragte er.
Sie wirkte peinlich berührt.
»Du kannst mir alles erzählen«, sagte Calder. »Ich höre seit vielen hundert Jahren Beichten an Sterbebetten zu.«
Ana blickte zu Boden, ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. »Mit Ilja, wenn wir uns berührten, uns im Arm hielten … uns, nun ja, küssten …« Sie zögerte.
Calder wünschte, er hätte sich nicht als Beichtvater angeboten. Er hatte bisher nur wenige intime Bekenntnisse von Frauen an Todesschauplätzen gehört, und aus irgendeinem Grund durchfuhr ihn bei Anas Worten glühende Eifersucht.
»Es war«, fuhr sie leise fort, »immer im Geheimen und in Eile.« Sie sah Calder in die Augen, errötete und wandte den Blick wieder ab. »Ich fürchte, für ihn machte die Gefahr das Begehren aus.«
Der Seelenhüter fühlte sich ruhelos und gereizt. Er trug ihr auf, im Schatten zu bleiben, und ging ihr etwas zu trinken holen. Er wusste, dass sie als Unsterbliche über die Art Durst hinaus war, die Wasser stillen könnte, doch er hoffte, es möge ein größerer Trost sein als er. Auf der Suche nach einem Brunnen oder einem Wasserhahn stoppte ihn ein helles Licht. Ein warmer Wind wehte ihm durchs Haar, eine Tür öffnete sich, und eine junge Frau in einem weißen Gewand trat hindurch. Zu ihren Fußen lag ein junger Mann im Schatten auf dem Rücken, die Augen geschlossen, die Arme ausgebreitet. Calder hielt den Atem an, um die Seelenhüterin nicht zu erschrecken, doch zu seiner Überraschung beugte sie sich nicht über den Körper und wartete, bis die Seele sich entschieden hatte. Stattdessen lächelte sie Calder an.
»Ich kenne dich«, sagte sie. »Du bist Rasputin, nicht wahr?«
22.
D er Tote öffnete die Augen und blickte ebenfalls zu Calder.
»Du bist Love, nicht wahr?«, fragte sie. »Monty Love aus
Rasputin,
The Black Monk?
«
Calder erkannte in diesem Moment, dass sie keine Begleiterin war und der Mann auf dem Boden, der den Kopf jetzt in eine Hand stützte und ihn angrinste, nicht tot. Die Tür gehörte zu der Szene.
»Nein«, sagte der liegende Mann. »Du bist Ed Connelly aus
The Fall of the Romanoffs,
oder?«
»Oh, Entschuldigung«, sagte die junge Frau. Sie
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